Die "Waldregel" ist im lateinischen Original genauso wie in der titelgebenden mittelhochdeutschen Übertragung ein außergewöhnliches, wenngleich wenig beachtetes Zeugnis frühmittelalterlicher Mönchsspiritualität, das Generationen von Mönchen und Einsiedlern, Männer gleichermaßen wie Frauen, in den Bann zog und sie einlud, nicht nur über die Lebensform eines Ein­geschlossenen (Reklusen), sondern auch über die Liebe zu Gott und zu seinen Nächsten nachzudenken.


Die herausragende Bedeutung der Regel zeigen die vielen Abschriften, die sich in den bekanntesten Klosterbibliotheken des hohen und späten Mittelalters befanden, aber auch die beiden voneinander unabhängig entstandenen Übersetzungen aus Regensburg und St. Gallen, die an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert eigens für geistliche Frauen angefertigt wurden. Gegenstand der Edition ist die St. Galler Waldregel, die in zwei Abschriften in der Stiftsbibliothek St. Gallen aufbewahrt wird: Die eine stammt aus der Klause im Steinertobel, die andere aus der Klause bei St. Georgen. Die Übersetzung zeigt, wie zeitlos "modern" der Text ist. Dies verdankt er zu gewichtigen Teilen seiner Inspirationsquelle, dem Matthäus-Evangelium.