"Dränge danach, jeden Gedanken, jede Erfahrung, jeden körperlichen Zustand in den vergangenen drei Jahren aufzuschreiben. Das nenne ich meinen Roman. Ich muss unbedingt aus meinen Erfahrungen ein Gesetz herausfinden" (Rolf Dieter Brinkmann, Brief an Henning John von Freyend, ca. 1973/1974).

Die Studie von Roberto Di Bella untersucht das Spätwerk von Rolf Dieter Brinkmann (1940-1975) erstmals mit Blick auf jenen bis zum Schluss thematisierten, jedoch nicht mehr verwirklichten zweiten Roman, der vom Autor selbst zugleich als "fiktive Autobiographie", "Roman meiner Generation" und "Grundlagenforschung der Gegenwart" entworfen wird.
Die exemplarischen Deutungen zur Text-Bild-Montage ,Schnitte‘ (1973/74) und zum Gedichtband ,Westwärts‘ 1&2 (1975) legen dabei nicht nur zahlreiche motivische und textgenetische Verflechtungen offen. Mit ihrer offenen Textualität werden sie jeweils als der "pré-roman" (Roland Barthes) eines noch zu entwerfenden anderen Sprach(t)raums lesbar gemacht. Bei der Re-Vision der eigenen Erinnerung wie unserer (westlichen) Fortschritts- und Mobilitätsmythen schreibt Brinkmann sein Material dreifach um: Wiederholung, Korrektur und neuer Sprachentwurf prägen die Dynamik eines ebenso spät- wie postmodernen Projekts, das sich selbst als Schwelle begreift. Denn der "destruktive Charakter", schrieb bereits Walter Benjamin 1931, "sieht nichts Dauerndes. Aber eben darum sieht er überall Wege."
Indem Roberto Di Bella den Romanbegriff bei Brinkmann als Leitmetapher ernst nimmt und zudem in seinen intertextuellen Bezügen verankert, stellt er das Verständnis der späten Textlabyrinthe insgesamt auf eine neue Grundlage. Seine Analysen greifen hierfür vielfach auch auf unveröffentlichte Briefe zurück. Ein umfangreicher Materialanhang zu ,Schnitte‘ dokumentiert zudem bislang unberücksichtigte Quellen und literarische Bezüge und ermöglicht so einen völlig neuen Zugang zu diesem wichtigen Spätwerk.