'Die Dichter lügen' – nicht. Platons Vorwurf ist literaturwissenschaftlich längst entkräftet: Fiktionale literarische Texte erzählen Erfundenes – allerdings nicht, um den Leser zu täuschen, sondern um ihn unter Einhaltung bestimmter Spielregeln zu unterhalten. Was aber passiert, wenn eben diese Regeln verletzt werden – und literarische Texte Konventionen des Wahren und des Erfundenen in Frage stellen? Besondere Brisanz erhalten narrative Konventionsbrüche in autobiographischen Texten, an die unverändert Forderungen nach wahrheitsgemäßer oder zumindest aufrichtiger Darstellung der Vergangenheit herangetragen werden. Die Entstehung neuer Begriffe wie „Autofiktion“ für Texte an der Schnittstelle von Autobiographie und Roman zeigt, dass autobiographisch-fiktionale Grenzverletzungen immer noch eine große literaturwissenschaftliche Herausforderung darstellen. Esther Kraus widmet sich diesem Problem aus theoretischer, analytischer und historischer Perspektive.