Der Umgang mit langfristiger Krankheit, Gebrechen sowie verschiedenen Formen und Ausprägungen körperlicher und geistig-seelischer Abweichung gehört seit jeher zum Alltag menschlicher Gemeinschaften. Disability History untersucht den Umgang mit dem menschlichen Körper in seiner Vielgestaltigkeit, Veränderbarkeit und permanenten Gefährdung im Wandel der Zeit. In Deutschland wird Disability bisher jedoch vorwiegend als ein spezifisch modernes Phänomen untersucht, mittelalterliche und frühneuzeitliche Gesellschaften wurden bisher kaum berücksichtigt. Um die Grundlagen für eine epochenübergreifende Perspektive in diesem Feld zu schaffen, widmet sich die Arbeitsgruppe 'Homo debilis' an der Universität Bremen dem Vorhaben, eine systematische Disability History der Vormoderne zu erarbeiten. Disability wird dabei als eine neue, grundlegende Analysekategorie historischer Forschungen auch für die Vormoderne nutzbar gemacht. Der Sammelband 'Phänomene der ›Behinderung‹ im Alltag. Bausteine zu einer Disability History der Vormoderne' führt Beiträge sowohl von bekannten Spezialist_innen auf dem Gebiet der internationalen Disability History als auch von Nachwuchswissenschaftler_innen zusammen. Im Hinblick auf die soziale Dimension von Disability werden vormoderne Herrschafts-, Lebens- und Beziehungsformen, die Rolle der Religion und die Bedeutung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit untersucht. Die Beiträge gehen auf die internationale, interdisziplinäre Tagung 'LeibEigenschaften. Phänomene der ›Behinderung‹ im Alltag der Vormoderne' (Universität Bremen, 1.−4. März 2012) zurück. Mit grundlegenden methodischen Überlegungen, quellengestützten Fallbeispielen und Einblicken in aktuelle Forschungsvorhaben bietet der Band wichtige Bausteine, um der bekannten Forderung der Disability History gerecht zu werden: 'Like gender, like race, disability must become a standard analytical tool in the historian’s tool chest' (Longmore/Umansky, 2001).