Es ist mehr als die Verortung der uns in »Everest« begegnenden geografischen Punkte, die dieses Debüt auszeichnet – Stephan Reichs Gedichte sind Verortungen menschlichen Zusammenlebens, sozialer Interaktionen, Fehlfunktionen. Die gewählten Orte sind dabei abseits bekannter Pfade zu finden – Orte, die doppelte Böden haben, Reibung erzeugen, Störfeuer zünden und in andere Räume verweisen.

Stephan Reichs Gedichte unterziehen diese Orte einer Analyse, die ohne eine Absicherung des Bekannten auskommt, die zu einer Expedition in das Abseitige aufruft. Ob im japanischen Wald der Selbstmörder, Aokigahara, ob in Qualaday in der nördlichen Kandahar-Provinz, im russischen Nischni Nowgorod oder in virtuellen Räumen wie virtualeternity.com – die Orte, die in Reichs Gedichten einen Rahmen setzen, sind stets solche, an denen Menschliches und Unmenschliches kollidieren.

Diese Gedichte führen zu einem Lesen ähnlich einer Verschiebung von Linsenelementen bei Fotokameras: Was sich dem Leser zunächst als Panorama präsentiert, wird in Stephan Reichs Texten zu einem immer kleiner werdenden Bildausschnitt, der das Epizentrum des jeweiligen poetischen Personals einkreist, um so die wunden Punkte offenzulegen, an denen sich eine Ausweitung menschlicher Erfahrbarkeit vollzieht. Insofern ist »Everest« zu verstehen als Titel, der auf Extreme verweist – auf die Extreme menschlichen Handelns und unmenschlichen Agierens.