Das Werk des Dramatikers, Erzählers und Lyrikers Heinar Kipphardt (1922–1982) ist nicht allein an die jeweiligen historischen Kontexte gebunden, in denen es erschienen ist, von den frühen Gedichten und Dramen bis zum postum uraufgeführten Schauspiel Bruder Eichmann (1983). Seine Ästhetik bietet Anknüpfungspunkte an die Autoren der klassischen Moderne, zu Bertolt Brecht, aber auch zu vielen Autoren, nach denen man nicht unbedingt bei Kipphardt sucht. Nach den frühen Kunst-anstrengungen, nach einigen Erfolgen, die der Dramatiker etwa mit Shakespeare dringend gesucht (1953) in der DDR feiern konnte, hat er um 1960 seine eigene Ästhetik gefunden. Ganz entfaltet zeigt sie sich bereits vor den großen Dokumentar- stücken wie In der Sache J. Robert Oppenheimer (1964) und Joel Brand (1965) etwa in Der Hund des Generals (1961). Hier ist bereits die Montage eine entscheidende Strategie, die Ambivalenzen von Figuren, die Widersprüche in Stoffen werden betont und herausgearbeitet, anstatt sie zu glätten. In den 1970er Jahren bis zu seinem Tod erweitert sich das ästhetische Spektrum nochmals stark; mit März (1976), den Gedichten und Traumprotokollen (1981) erhalten das Fragmentarische, die Leerstellen, die kompositorische Rauheit ihren Ort. Kipphardt ist fasziniert von schizophrener und surrealistischer Sprache und Assoziationen, die nicht interpretatorischdidaktisch auflösbar sind. Auch Sinnlichkeit und Komik spielen im Werk seines letzten Lebensjahrzehnts eine prominente Rolle. Der vorliegende Band zeigt das Werk auch in seinem ästhetischen Repertoire, ganze Bereiche davon werden neu erschlossen.