Milzbrand (Anthrax) zählt, neben der bovinen Tuberkulose, Brucellose, Zystizerkose, Echinokokkose und Tollwut zur Gruppe der “Neglected Zoonotic Diseases“ (NZD, vernachlässigte Krankheiten). Dieser Terminus soll den von der WHO neu verfolgten Ansatz zum Umgang mit endemischen Zoonosen ausdrücken. Diese Erkrankungen werden im Gegensatz zu neu auftauchenden Erkrankungen auf nationaler als auch internationaler Ebene vernachlässigt, obwohl sie hohe Morbidität und Mortalität bei Mensch und Tier in Entwicklungsländern verursachen können (WHO 2012). Hauptgründe dafür sind ein nicht adäquates Überwachungsund Meldesystem, mangelhafte Tiergesundheitsüberwachung und das Fehlen diagnostischer Einrichtungen. Die Bedeutung der Erkrankungen wird daher als Ergebnis unterschätzt. Daraus erwächst die Konsequenz, dass sie teilweise „Re-emerging Diseases“ mit erheblichen Problemen darstellen (Maudlin et al., 2009). 2005 wurde vom Europaparlament eine Resolution zur Betonung von „Bedeutenden und vernachlässigten Krankheiten in Entwicklungsländern“ verabschiedet. Des Weiteren wurde eine Forschungslücke für NZD festgestellt und die relevanten NZD-Krankheiten gelistet, von denen die ärmeren Bevölkerungen in Entwicklungsländern v.a. in Afrika, Latein-Amerika und Asien betroffen sind (Europäisches Parlament 2006). Ziel der Resolution ist, das Auftauchen dieser Zoonosen, wie Anthrax, beim Menschen durch verbesserte Kontrollen und Eliminierung der Erkrankung bei Reservoir- Spezies, Wild- und Nutztieren, zu minimieren. Weltweite Aufmerksamkeit soll nunmehr auf diese NZD gelenkt werden (WHO 2012).
Diese Arbeit entstand im Rahmen des DFG-Vorhabens zur Förderung deutsch-afrikanischer Kooperationsprojekte in der Infektiologie mit dem Ziel, neue Therapieformen und Ansätze zur Aufklärung von Anthrax als NZD zu erarbeiten (DFG 2007). Das Forschungsvorhaben wurde mit Kooperationspartnern (National Institute for Communicable Diseases in Südafrika, Ethosha Ecological Institute und Central Veterinary Laboratory) in Namibia durchgeführt. Es beinhaltete zwei Forschungsbiete: Impfung und Testung neuer Vakzine-Kandidaten für Anthrax und Genotypisierung und Epidemiologie von B. anthracis. Beide Forschungsgebiete waren in verschiedene Teilbereiche gegliedert. Diese Arbeit beschäftigt sich mit den molekulargenetischen Untersuchungen zur Epidemiologie von Anthrax in Namibia. Ergebnisse aus dem Teilprojekt zur Genotypisierung und Epidemiologie von B. anthracis wurden bereits veröffentlicht (Beyer et al., 2009; Hilss et al., 2011; Haumacher et al., 2011; Beyer et al., 2012). Das südliche Afrika gehört zu den endemisch von Anthrax betroffenen Gebieten. Berichte zu Ausbrüchen liegen aus Botswana, Namibia, Zambia, Südafrika und Zimbabwe vor. Aufgrund fehlender oder nicht adäquater Überwachungs- und Meldesysteme kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich weitaus mehr Anthrax-Ausbrüche ereignen. Ausbrüche finden in unterschiedlichem Ausmaß und Ausdehnung statt, sie ereignen sich teilweise regelmäßig (Lindeque et al., 1996) oder periodisch wiederkehrend (Smith et al., 2000). Anthrax stellt ein Managementproblem in Wildtierpopulationen dar, führt zu ökonomischen Verlusten in Nutztierbeständen, zu infausten Erkrankungen beim Menschen und kann als biologische Waffe missbraucht werden. Ökologische Zusammenhänge, die das Auftreten und das Ausmaß der Erkrankung beeinflussen, sind nach wie vor nicht vollständig geklärt (Smith et al., 1999). Fragen zu saisonalem Auftreten, Art der Spezies, die während eines Ausbruchs in unterschiedlichen Regionen bevorzugt betroffen sind sowie Infektionsquellen und der Krankheitsverlauf bei Wildtieren sind weiterhin offen (Beyer und Turnbull 2009). Molekularbiologische Methoden, wie SNP (Single Nucleotide Polymorphism)-Analysen, MLVA 31 Marker (Multiple- Locus Variable-Number Tandem Repeat) und SNR (Single Nucleotide Repeat)-Analysen) zeigen, dass eine graduelle Differenzierung des Erregers möglich ist. Mit Hilfe dieser Ergebnisse können somit räumliche und zeitliche Clusteranalysen von Genotypen durchgeführt werden. Diese Clusteranalysen können unter Einbindung epidemiologischer Faktoren, die das Auftreten der Erkrankung beeinflussen, helfen, Ausbruchs- und Ausbreitungsmuster zu erklären (Smith et al., 1999). SNR-Analysen ermöglichen die Einteilung eines Ausbruchs in Endemie und Epidemie, so dass verschiedene Ausbruchsmuster innerhalb eines Ausbruchs voneinander getrennt betrachtet werden können (Keim et al., 2004). Die Funktionen der genannten molekularbiologischen Methoden werden in dieser Dissertation zur Darstellung der Verteilung der Genotypen von B. anthracis in Namibia genutzt.
Schwerpunkt dieser Arbeit ist somit die Anwendung von molekularbiologischen Methoden zur Differenzierung neuer oder bereits isolierter B. anthracis-Stämme aus Namibia. Auf Basis der dadurch gewonnenen Daten werden räumliche und zeitliche Zusammenhänge des Vorkommens- und Ausbreitungsmusters von Anthrax im ENP und anderen Regionen Namibias dargestellt und analysiert. Das Ziel dieser Arbeit war daher, Ergebnisse molekularbiologischer Methoden mit epidemiologisch relevanten Daten zu verbinden. Dieser Untersuchungsansatz sollte zu Erkenntnissen führen, die über die mit der klassischen bakteriologischen Diagnostik erzielten Ergebnisse hinausgehen.