Das Sammlungsphänomen in der gegenwärtigen kulturellen Gedächtnis-, Erinnerungs- und Dingforschung wartet als literarisches Konstituens auf eine chronologische Darstellung des Sammelns und Veröffentlichens literarischer Texte in der realhistorischen Wirklichkeit und des Erzählens von Sammlerfiguren und Sammelvorgängen in der fiktionalen Literatur des vom Historismus geprägten 19. Jahrhunderts. Patriotisch motiviertes Sammeln volksliterarischer Zeugnisse deutscher Geschichte erfährt seit Herders Initiative enorme Dynamik; und selten sind in der deutschen Literatur so viele Sammlerfiguren gestaltet worden wie in dieser Ära. Beide Phänomene spiegeln auf ihre Weise die Mentalität der Epoche in ihrer Dichotomie von Tradition und Fortschrittsgläubigkeit, Vergangenheitstreue und Zukunftsorientierung, konservativem und modernem Denken. Auf Grimms ‚Sammelnotwendigkeit’ antwortet Nietzsches ‚blinde Sammelwut’, auf Goethes idealistisches Sammlungskonzept Jean Pauls groteske Inszenierung. Wilhelm Raabes und Theodor Fontanes Sammlerfiguren komprimieren Ernst mit Komik; Eduard Mörike, Annette von Droste-Hülshoff und Franz Grillparzer transferieren eigene Sammelleidenschaft in Poesie; um die Jahrhundertwende begegnen von Sammelmanie besessene ‚Helden’ in dekadenter Perversion.