„Autos und Fahrräder haben Rücklichter. Warum nicht ich?“, fragte sie und nähte sich ein blinkendes Licht an das Gesäßpolster ihres Kleides. Mit Briefmarken auf den Wangen, goldenen Karotten auf dem Kopf und Papageienfedern als Wimpern stakste sie die Fifth Avenue entlang: Elsa von Freytag-Loringhoven (1874-1927), „Dada's Mama“, machte aus Müll Kunst, und das lange vor Marcel Duchamp, mit dem sie befreundet war. Nicht nur er, auch Ernest Hemingway, Man Ray, Ezra Pound, Djuna Barnes und Berenice Abbott bewunderten sie. Ihre erotischen Gedichte, veröffentlicht in der Avantgarde-Zeitschrift Little Review, lösten heftigere Reaktionen aus, als der gleichzeitig gedruckte Ulysses von James Joyce. Geschätzt und gefürchtet wurde sie jedoch vor allem für ihre sexuell aufgeladenen, oft umstrittenen Auftritte. Die Lebensgeschichte der Baroness zeugt von ihrem unglaublichen Mut und ist doch zugleich eine der traurigsten Geschichten in der modernen Welt. Geboren in Swinemünde floh Elsa 1893 vor ihrem gewalttätigen Vater nach Berlin und begann dort ihre wilde Odyssee sexueller Eskapaden, die sie nicht nur in einige bizarre Ehen führte, sondern ihr auch zu einem Adelstitel verhalfen. Ob in den Straßen von Berlin, München, New York oder Paris - ob mit Tomatenmarkdöschen als Büstenhalter, Teelöffeln als Ohrringe oder schwarzem Lippenstift - für die Baroness waren die übergänge zwischen Leben und Kunst fließend, genauso wie die Grenzen zwischen dem Alltäglichen und dem Unglaublichen, zwischen dem Kreativen und dem Gefährlichen. Letztes Jahr feierte New York die Wiederentdeckung der Baroness in einer spektakulären Retrospektive. In Irene Gammels hoch gelobter Biografie sind nun erstmals alle Kunstwerke von und über Elsa von Freytag-Loringhoven zu sehen.