Anders als im alltäglichen Wortgebrauch angenommen, ist Nation keine fest definierte Größe, sondern eine durchaus variable Vorstellung einer sozialen Großgruppe. Die Vorstellungen, die sich die Deutschen zur Zeit der Reichsgründung (1848–1878) von der Nation machten, konnten entsprechend unterschiedlich ausfallen, je nachdem, in welchen Teilstaaten und Regionen sie wohnten und welcher Konfession sie angehörten.
Um die verschiedenen Nationsvorstellungen in dieser für den deutschen Nationalismus formativen Epoche zu untersuchen, betrachtet der Historiker Andreas Heinemann die Nationsvorstellungen von Bürgern in vier Städten – dem katholischen und ‚beutepreußischen’ Münster, dem protestantischen und preußischen Magdeburg, dem protestantischen und hannoverschen Göttingen und dem katholischen und badischen Freiburg: Wie dachten sich Bürger verschiedener Milieus in den Städten die Nation, von welchen Faktoren waren diese Nationsvorstellungen geprägt und wie verbanden sie sich mit regionalen und konfessionellen Identitäten?
Anhand dieser Fragen wird das Verhältnis von Konfession und Nation auf die lokale Ebene heruntergebrochen und der Prozess der Nationsbildung in Deutschland aus dem Mikrokosmos der Stadt heraus analysiert.

INHALT:

A. Einleitung;
B. 1848/ 49 – ein „nationalpolitisches Laboratorium“ vor Ort;
1. Münster – zwischen Preußen und Habsburg;
2. Magdeburg – „altpreußisches Selbstgefühl“ oder „Deutschtuerei“;
3. Göttingen – föderale Nation oder Republik;
4. Freiburg – nationales Vorbild und revolutionäre Hochburg;
C. ‚Einheit‘ und ‚Freiheit‘ – die Jahre 1859–1865;
1. Münster – „Jedem das Seine“;
2. Magdeburg – „Auf, Germania, reiche dem Preußen Deine Hand“;
3. Göttingen – „sind die Mittelstaaten nicht erforderlich“;
4. Freiburg – „nicht Baden allein, sondern unser großes deutsches Vaterland“;
D. Turnen für Stadt und Nation;
1. Münster – Turnen als zeitweiliger nationaler Kompromiss;
2. Magdeburg – Turnen als nationale Mission;
3. Göttingen – Turnen und Politik;
4. Freiburg – der „ungünstige Boden, auf welchem der hiesige Verein steht“;
E. Der Bruderkrieg;
1. Münster – „Bedenklichkeit“;
2. Magdeburg – Stimmungswandel;
3. Göttingen – das Ende des Welfenstaates;
4. Freiburg – Hoffnungen und Resignationen;
F. Der Weg zur Reichsgründung;
1. Münster – „Wiederherstellung des deutschen Reiches“;
2. Magdeburg – ins „neue Reich“;
3. Göttingen – nationale Zuverlässigkeit und welfische Opposition;
4. Freiburg – Einheit und neue Kämpfe;
G. Kulturkampf – Kampf der Nationen;
1. Münster – katholischer Nationalismus und die Deutungshoheit über die Stadt;
2. Magdeburg – Gedächtnisfeinde und die Verteidigung der bürgerlichen Nation;
3. Göttingen – symbiotische Feinde;
4. Freiburg – „wahre“ Katholiken und „wahre“ Deutsche;
H. Stadt und Nation in der Erinnerungskultur;
1. Münster – großdeutsche Geschichte und westfälische Identität;
2. Magdeburg – Nation, Preußen und Reformationsgedenken;
3. Göttingen – preußische und welfische Geschichte;
4. Freiburg – Zähringen, Habsburg, Baden und Deutschland;
I. Fazit;
J. Quellen und Literatur