Literarische Nachlässe haben in den letzten Jahren einen qualitativen Zugangswechsel erfahren – sie sind zu einem literaturwissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand eigenen Rechts avanciert. Damit drängen sich neue Fragen auf: nach dem Status von Werk und Nachlass, einem spezifischen Nachlassbewusstsein und der Rolle der Nachwelt.
Unter dem Begriff der Nachlassformation führt die vorliegende Studie die verschiedenen Diskussionskomplexe zusammen, beschreibt den Nachlass als zugleich historisches sowie singulär-vielschichtiges Gebilde und entwickelt darauf aufbauend erstmals eine Analyse-Methodik zur Interpretation literarischer Archive. Anschließend findet der theoretische Ansatz Anwendung im Rahmen zweier groß angelegter Fallstudien zu dem Dichter Richard Leising und der Autorin Helga M. Novak. Die Auseinandersetzung mit ihrem Wirken im historischen Kontext von DDR und deutscher Zweistaatlichkeit provoziert eine für die Nachlassforschung zentrale Frage: Wie manifestiert sich das Spannungsverhältnis von Schreiben und literarischer Öffentlichkeit in der konkreten Nachlassformation?