Fast jeder hat schon einmal ein Buch gelesen oder einen Film gesehen, die das Zusammenleben und das Lernen in einem Internat zum Gegenstand haben. Da gibt es eine Variante, die primär Kinder und Jugendliche als Adressaten hat: z.B. „Das fliegende Klassenzimmer“ von Erich Kästner, Enid Blytons „Hanni und Nanni“ oder die TV-Serie „Schloss Einstein“. Zwar tauchen hier durchaus Konflikte und Probleme auf, aber am Ende geht alles gut aus. Es menschelt auf unterhaltsame Weise. Daneben gibt es schon seit der Wende zum vorigen Jahrhundert literarische Texte und später dann auch Filme, die die Internatsatmosphäre sehr viel gründlicher und kritischer unter die Lupe nehmen: außer dem Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ von Robert Musil sind dies u.a. Hermann Hesses Erzählung „Unterm Rad“ und z.B. der englische Spielfilm „If“ von 1968. – In diesem Buch geht es um diese zweite Variante der Aufarbeitung von Internatswirklichkeit. Wir konzentrieren uns hier auf deutschsprachige literarische Zeugnisse, die sich auf die Zeitspanne von der Nachkriegszeit bis zu den 80er Jahren beziehen. In den letzten Jahren ist dazu eine Fülle von Erzählungen und Romanen erschienen. Die Analyse wurde angereichert durch dokumentarisches Material. Dabei ging es uns darum, die „verdichteten“ Szenarien ein Stück weit zu objektivieren. Wir haben herauszuarbeiten versucht, warum ein Schüler, eine Schülerin zu dieser Zeit ins Internat gekommen ist, welche Bedingungen und Strukturen dort das soziale Klima und den praktischen Lern- und Lebensalltag bestimmt haben, welche Möglichkeiten für sie existierten, damit um-zugehen und die Situation zu verarbeiten, schließlich, inwieweit sich ungute Traditionen sei-nerzeit fortgesetzt haben. – Stellvertretend für andere biografische Rückblicke auf die Lebensspanne im Internat sei hier aus einem im SZ-Magazin 2012 veröffentlichten Interview mit André Heller zitiert, der einen Teil seiner Schulzeit u.a. im Jesuitenkollegium Kalksburg nahe Wien verbracht hat: „Diese Glaubenskaserne war eine Art Kinderausgabe der heiligen Inquisition. Bei den Jesuiten lernte ich zwei Dinge gleichzeitig kennen: ununterbrochenes Geschwätz über Liebe und die Anwendung radikalster Grausamkeit. Da war eine Kälte, Menschenverachtung und Gnadenlosigkeit zu spüren, die mir bis ins Tiefste widerlich war. Alles in mir war Auflehnung und ein Gefühl völliger Fremdheit.“