Die landläufige Meinung, dass die schnellebige Gegenwart keine Zeit für Lyrik sei, entspricht nicht der täglichen Erfahrung: es wird viel gelesen – auch Lyrik. Offensichtlich werden immer wieder Wege gefunden, Leser zu interessieren. Die jüngere und jüngste Generation (Wondratschek, Thomas Kling, Uwe Kolbe, Durs Grünbein u.v.a.) sucht auf eigene Art, ihre Zeit- und Welterfahrung einem Leser mitzuteilen. Selbstverständlich stehen die Jüngeren auf den Schultern von Vorgängern und wollen das auch nicht leugnen.
In der ersten der hier vorgelegten Studien steht die Frage im Mittelpunkt, wie das Wissen unserer Zeit ("Bildungswissen", Technik u.ä.) von den Dichtern aufgenommen und reflektiert wird. In der dritten kreisen die Fragen um die Politik, die im Leben von Mensch und Gesellschaft einen beherrschenden Platz einnimmt. Gilt etwa noch das Wort aus Goethes Faust: "Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied"?
In der Mitte steht das lyrische Werk des in Ostberlin arbeitenden Johannes Bobrowski (geb. 1917 in Tilsit, gest. 1965 in Berlin) und dessen Wirkung in Ost und West. Anhand eines wesentlichen Aspekts des Werks werden die Fragen auf ein Problem zugespitzt, das ihn lebenslänglich beschäftigt hat: die Schuld der Deutschen an den "Ostvölkern" seiner Heimat, an der er als Wehrmachtsoldat Mitschuld trug. Sein Dichterwort mit dem ihm eigentümlichen Gepräge spricht im Zeichen der Hoffnung und steht gegen das Vergessen.