BASt M 247: Psychologische Aspekte des Unfallrisikos für Motorradfahrerinnen und -fahrer
A. von Below, H. Holte
124 S., 47 Abb., 52 Tab., ISBN 978-3-95606-094-6, 2014, EUR 19,50
Wer ein Motorrad fährt, hat ein großes Risiko im Straßenverkehr verletzt oder getötet zu werden. Besonders junge Fahrer und Fahrerinnen sind in den Unfallzahlen gemessen an der Bevölkerungszahl dieser Altersgruppe überrepräsentiert. Allerdings hat in den letzten Jahrzehnten die Zahl verunglückter älterer Motorradfahrer und -fahrerinnen rapide zu genommen. Die Gruppe der 55-65-Jährigen hat sogar gemessen an der Bevölkerungszahl das größte Risiko, bei einem Motorradunfall getötet zu werden. Die Fehlverhaltensweise, die hauptsächlich als ursächlich für diese Unfälle festgestellt wird, ist die unangepasste Geschwindigkeit.
In der vorliegenden Studie wurden vor dem Hintergrund der hohen Gefährdung von dieser Verkehrsteilneh-mergruppe die psychologischen Aspekte, die mit der Straßenverkehrssicherheit dieser Gruppe im Zusammenhang stehen, untersucht. Zu diesem Zweck wurden eine umfangreiche Literaturanalyse sowie eine Repräsentativbefragung von 1.039 Motorradfahrerinnen und -fahrern durchgeführt. Die Daten der Befragung wurden zunächst deskriptiv aufbereitet, anschließend wurden einige Variablen mittels Faktorenanalysen oder durch Indexbildung zusammengefasst. In einem dritten Schritt wurden Clusteranalysen durchgeführt, um die heterogen zusammengesetzte Gesamtgruppe in Subgruppen mit unterschiedlicher Unfallgefährdung aufzuteilen. Die resultierenden Subgruppen wurden dann im Hinblick auf die verschiedenen verkehrssicherheitsrelevanten Merkmale miteinander verglichen. Weiterhin wurden die Daten der Gesamtgruppe auf die Passung zu einem auf Basis von theoretischen Überlegungen entwickelten Modells geprüft.
In etlichen Studien wurden bereits verschiedene Einflussvariablen auf das Unfallrisiko und die Gefährdung von Motorradfahrerinnen und -fahrern untersucht. Jedoch umfasst keine vorliegende Studie die Vielzahl von Prä-diktoren und deren Beziehungen, wie es in Studien zum Autofahren bereits der Fall war. Die durchgeführte Literaturanalyse gibt einen Überblick über einige Variablen, die im Zusammenhang mit der Sicherheit als relevant betrachtet werden.
Im Ergebnisteil des Berichts werden Merkmale der Stichprobe sowie Nutzungsgewohnheiten und die Prävalenz von Unfallbeteiligung und Verwarnungen der Befragten umfangreich dargestellt. Die Unfallprävalenz ist für die Altersgruppe zwischen 18 und 24 Jahren erwartungsgemäß mit 17 % am höchsten (insgesamt: 10 %).
Die beiden durchgeführten Clusteranalysen basierend auf unterschiedlichen Konzepten ergeben für die Lebensstilvariablen vier und für die Persönlichkeitsmerkmale fünf Subgruppen der Gesamtgruppe mit unterschiedlichen Unfallprävalenzen. Jeweils eine der Subgruppen stellt sich als deutlich gefährdeter heraus: Lebensstilcluster 1 (15 %) und Persönlichkeitstyp 3 (23 %). Die Personen des Lebensstilclusters 1 nutzen das Motorrad oder Auto gern, um damit herumzufahren oder daran zu schrauben. Sie mögen Partys, Discos und Rockkonzerte und bevorzugen Hard- oder Punk-Rock-Musik sowie Filme des Action-, Science-Fiction- oder Horrorgenres. Im Durchschnitt ist diese Gruppe das jüngste der vier Lebensstilcluster, das gleichzeitig den geringsten Frauenanteil umfasst. Die Einstellung gegenüber hoher Geschwindigkeit beim Motorradfahren, Fahren unter dem Einfluss von Alkohol und aggressivem Fahrverhalten ist in dieser Gruppe am positivsten, d.h. am riskantesten, ausgeprägt. Riskante Fahrverhaltensweisen werden in dieser Gruppe vergleichsweise häufig gezeigt.
Personen, die dem Persönlichkeitstyp 3 zugeordnet sind, sind vergleichsweise schnell reizbar, suchen stark nach neuen Erlebnissen und Erfahrungen, halten sich wenig an bestehende Normen und identifizieren sich sehr mit der Gruppe der Motorradfahrer und -fahrerinnen. Gleichzeitig sind für diese Personen im Vergleich zu den übrigen Befragten die Bedürfnisse anderer Menschen weniger von Bedeutung. Wie für das Lebensstilcluster 1 zeigen sich für diesen Persönlichkeitstyp auch positive (d.h. riskante) Einstellungen zum Motorradfahren und riskante Fahrverhaltensweisen. Zudem berichten die Personen dieser Gruppe häufig von Eintragungen im Verkehrszentralregister und der Beteiligung an einem Autounfall. Die Kombination beider Gruppen ermöglicht durch eine weitere Ausdifferenzierung der Merkmalskombinationen die Identifikation einer Hochrisikogruppe (Kombination aus Cluster 1 und Typ 3: 28 %).
Der Test des angenommenen Modells belegt eine gute Passung der erhobenen Daten. Die Varianzaufklärung des Kriteriums Unfallbeteiligung beträgt 22 %. Als stärkste Prädiktoren dieser Variable erweisen sich die behaviorale Komponente der Einstellung zu Geschwindigkeit und die Anzahl der Eintragungen für Motorradverstöße im Verkehrszentralregister.
Aus den Ergebnissen der durchgeführten Literaturanalyse und der Befragung werden die folgenden Handlungsempfehlungen abgeleitet:

• Da die jungen Fahrer und Fahrerinnen im Alter zwischen 18 und 24 Jahren, wie bei den Pkw- Fahrerinnen und -Fahrern, in der Unfallbeteiligung überrepräsentiert sind, sollten Maßnahmen äquivalent zu denen für junge Pkw-Fahrer und -Fahrerinnen geprüft werden.
• Für die Hochrisikogruppen der beiden Clusteranalysen sollten maßgeschneiderte Inhalte entwickelt und in zielgruppenorientierten Medien (z.B. Motorrad- oder Motorsportzeitschriften) platziert werden.
• Die Maßnahmen für Motorradfahrerinnen und -fahrer sollten sich nicht nur auf die Verkehrssicherheit beim Motorradfahren beziehen, sondern insgesamt regelkonformes und rücksichtsvolles Verhalten im Straßenverkehr thematisieren.
• Andere Verkehrsteilnehmer sollten auf die spezifischen Gefährdungen von und durch Motorradfahrer und -fahrerinnen (z.B. hohe Geschwindigkeiten, Gefahr Zweiradfahrer zu Übersehen) aufmerksam gemacht werden.
• Verstärken der polizeilichen Überwachung insbesondere im Hinblick auf Geschwindigkeitsverstöße.
• Verbesserung der Fahrerkompetenz besonders im Hinblick auf Gefahrenwahrnehmung und entspre-chende Reaktionsfähigkeit in der Fahrausbildung oder in entsprechenden Fahrsicherheitstrainings unter der Voraussetzung der Evaluation bestehender Trainingsangebote und der Entwicklung eines Trainingscurriculums.
• Weiterentwicklung, Implementierung und Evaluation von Fahrerassistenzsystemen für Motorräder.
• Förderung des Tragens von Sicherheitskleidung (z.B. in Kampagnen) zur Vermeidung und Reduktion schwerer Verletzungen.
• Konsequente Umsetzung von Empfehlungen zur Optimierung der Verkehrsinfrastruktur zur Vermeidung von Unfällen und Reduktion der Unfallschwere.