Das Interesse an mittelalterlicher Literatur stand seit dem 19. Jahrhundert in engem Zusammenhang mit der Suche nach nationaler Identität. Infolge der steigenden Sympathie für die Epoche wurden gesellschaftspolitische und weltanschauliche Idealvorstellungen auf das Mittelalter und dessen literarische Überlieferungen projiziert. Diese Projektionen dienten in Erziehung und Unterricht oftmals dazu, erwünschte Werte und Geisteshaltungen wachzurufen.
Auf der Basis einer Lesebuch- und Lehrplanrecherche wird in dem Buch der Frage nachgegangen, welche Rolle die mittelalterliche Literatur in Unterrichtsmaterialien für mittlere Schulen für den Zeitraum der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der SBZ/DDR spielte und mit welchem Interesse sie in den Deutschunterricht integriert werden sollte. Dabei werden exemplarische mittelalterliche Stoffe auf ihre erziehlich ambitionierten Deutungen hin untersucht. Anhand von bildungsgeschichtlichen und historischen literaturdidaktischen Dokumenten werden die Ergebnisse im Kontext der Entwicklung und Verbundenheit von Germanistik, Deutschunterricht, mittlerem Bildungswesen und Bildungspolitik dargestellt, um Einflüsse fachwissenschaftlicher Strömungen und politisch motivierter Erziehungsziele auf die unterrichtstheoretische Behandlung dieser Bildungsstoffe zu analysieren.