Hans Kilians »dialektische Anthropologie« und historische Psychologie verbindet Psychoanalyse und kritische Gesellschaftstheorie. Der Grundstein seines interdisziplinären Ansatzes ist im nun neu aufgelegten Buch Das enteignete Bewusstsein gelegt. Kilian nimmt an, dass menschliche Selbsterkenntnis im Lauf der Geschichte veralten kann: Die Menschen orientieren sich an überkommenen (patriarchalen) Sozialformen und vertrauten Identitätsstrukturen, während sich die Gesellschaft weiterentwickelt und immer komplexer wird. Aus diesem Gegensatz resultiert eine kollektive Identitätskrise, die häufig zu einem Rückzug auf »veraltete« Werte führt.

Kilians dialektische Sozialpsychologie – die auch als Wegbereiter der heutigen Kulturpsychologie aufgefasst werden kann – soll unbewusste historische und gesellschaftliche Determinanten unseres Denkens, Fühlens und Handelns aufdecken. Ihr aufklärerisches und emanzipatorisches Programm zielt letztlich auf eine grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen Praxis durch Subjekte, die die eigene Fremdbestimmung durch verfestigte kulturelle Traditionen, Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu erkennen und in reflektierte Selbststeuerung zu verwandeln vermögen.