Lars Clausen (1935–2010) gehörte zu den eigenwilligsten, vielfältigsten und sprachmächtigsten Soziologen seiner Generation: Mit großer theoretischer Neugier erkundete er die Industriekultur in Sambia, als Afrika auf den Landkarten der Sozialwissenschaften kaum vorkam, widmete sich der Soziologie der Werbung, der Jugend, der Arbeit, des Tauschs und des sozialen Wandels.
Als Katastrophensoziologe gehörte er seit den siebziger Jahren der Schutzkommission des Innenministeriums an, der er zuletzt vorstand. Seine Liebe zur Literatur führte nicht nur zu einer großangelegten Soziobiographie des Schriftstellers Leopold Schefer, sondern vor allem zu einer stets beweglichen, jedem Jargon abholden Sprache.
Anlässlich des 80. Geburtstags von Lars Clausen am 8. April 2015 erscheint erstmals die Abschiedsvorlesung, die er im Sommer 2000 in Kiel gehalten hat – und die ein einzigartiges Experiment wagt: Clausen gibt, den Marken seiner eigenen Biografie folgend, eine Einführung in die Theorien der Soziologie, die sehr persönlich, zugleich aber sehr weitgreifend ist: Von der antiken Protosoziologie über die Begründung des Faches durch Ferdinand Tönnies, die Weiterentwicklung durch Georg Simmel und Max Weber, die Wege deutscher Soziologien im 'Dritten Reich', hin zu den Neuerungen des Nachkriegs, der Entstehung von Entwicklungsländersoziologie, Systemtheorie, Ethno- und Katastrophensoziologie.
Clausen erzählt von der Entstehung und Entwicklung eines – seines – gesellschaftstheoretischen Denkens, das er wiederum am eigenen Leben erprobt: die kindlichkluge Beobachtung der NS-Gesellschaft, der 'krasse soziale Wandel' der Kriegs- und Flüchtlingsjahre, die Offenbarungen und Zumutungen des humanistischen Gymnasiums (in das man noch barfuß ging), die Begegnungen des zweifachen Studiums, die Errichtung der 'großen Parkanlage der Soziologie' in Dortmund, die Erfahrungen in Afrika, die Anti-Atombewegung von 1958 und die Verwerfungen von 1968, das Forschen in kaum zugänglichen Regionen der DDR und die Lehren, Ärgernisse und Freuden einer nicht bloß akademischen Karriere.
Transkribiert aus der freien, pointensicheren Sprache, lädt das Buch nicht zuletzt dazu ein, Lars Clausen als
Erzähler zu entdecken, der das Anekdotische ebenso beherrscht wie den Bogen über die Jahrtausende, die
Zuspitzung, den strukturellen Vergleich und die Kunst der Abschweifung.