Der Zustand der menschlichen Gesellschaft in Vergangenheit und G1egenwart bietet für
das Auge des Menschenfreundes in vielfacher Beziehung ein wenig erfreuliches Bild. Es
zeigt uns riesige Gegensätze von höchstem Glück und von tiefstem Elend, Grenzenlose
Armut neben grenzenlosem Reichtum, grenzenlose Gewalt neben grenzenloser
Ohnmacht, grenzenloser Überfluss neben grenzenloser Entbehrung, Übermass von
Arbeit neben Nichtsthuerei und Faulenzertum, politische Freiheit neben wirtschaftlichem
Knechttum, fabelhaftes Wissen neben tiefster Unwissenheit, Schönes und Herrliches
jeder Art neben Hässlichem und Abstossendem jeder Art, höchste Erhebung
menschlichen Seins und Könnens neben dessen tiefster Versunkenheit, blöder dumpfer
Aberglauben neben höchster Geistesfreiheit — das ist der Charakter einer Gesellschaft,
welche in der Grösse und dem Widerstreit dieser Gegensätze die schlimmsten, hinter
uns liegenden Zeiten politischer Unterdrückung und Sklaverei noch überbieten zu wollen
scheint. Von jeher haben die Menschen untereinander und gegen ihr eignes Geschlecht
in einer Weise gewütet, im Vergleich mit welcher die wildesten und grausamsten Bestien
als fromme Lämmer erscheinen müssen. Aber wenn auch diese Zeiten wildester
Barbarei und Zerfleischungswut in zivilisieren Ländern grösstenteils vorüber sind, so
wiederholen sie sich doch in andrer 2Form in jenen erschütternden gesellschaftlichen
Tragödien von Mord, Selbstmord, Hungertod, unverschuldeter Krankheit, frühzeitigem
Tod, Arbeitslosigkeit u. s. w., welche wir beinahe tagtäglich an uns vorüber müssen
ziehen lassen, ohne im Stande zu sein, ihre schreckliche Wiederkehr zu verhüten oder
ohne ihnen mehr als eine kurze Regung des Mitleids schenken zu können.