Was ist ein Autor? Die deutsche Lyrik der Nachkriegszeit fand darauf eigene Antworten. Nach 1945 mussten Grundlagen und Ziele des Schreibens neu definiert werden. Rationalität schien kein tragfähiges Konzept mehr, Autoritäten waren prinzipiell fragwürdig, Gewissheiten ausgelöscht. Die Daseinsberechtigung des Autors wurde von den Schriftstellerinnen und Schriftstellern über Jahre diskutiert und radikal in Frage gestellt. Aber was bedeutet das für die Literatur selbst?
Fragen nach dem Autor, seinen Aufgaben und Fähigkeiten wurden zwischen 1945 und 1968 am eindringlichsten in der Lyrik gestellt. Anhand der Gedichte von Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Günter Eich, Hans Magnus Enzensberger und Marie Luise Kaschnitz wird untersucht, welche Vorstellungen des Autors darin entwickelt, erprobt und revidiert werden. Dabei lassen sich nicht bloß verschiedene Entwürfe von Autorschaft erkennen: Es findet eine Entwicklung statt von Vorstellungen eines starken und fähigen Autors zu einem entmachteten Autor, der in Auflösung begriffen ist. Die Verantwortung über die Textbedeutung wird zunehmend auf den Leser übertragen. Der Autor in der deutschen Lyrik wird von sich selbst definiert, hinterfragt, und schließlich ausgelöscht, auf dass der Leser sein begonnenes Werk vollende.