Versehrte Kunstfiguren zwischen Deformation und Destruktion sind eine generelle Tendenz im deutschen und europäischen Theater des 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Sie bilden eine gemeinsame Schnittmenge zahlreicher Theatertexte, deren Autorinnen und Autoren für unterschiedliche dramatische und theatrale Konzepte stehen. Versehrte Figuren können verschiedene Wirkungen und dramatische Funktionen aufweisen: Sie können tragisch oder komisch wirken, Distanz erzeugen und Kulturkritik üben. Ohne versehrte Körperlichkeit wären zahlreiche Theatertexte konzeptionell nicht zu denken und viele Inszenierungen semiotisch und performativ nicht gestaltbar. In dieser Untersuchung wird das ,Theater der Versehrten’ auf der Grundlage der Jürgen Link’schen Normalismustheorie, der von Stuart Hall beschriebenen Subjektdezentrierung und der Gendertheorie Judith Butlers an einem Textkorpus erarbeitet, indem unterschiedliche Gattungskonzepte im Bezugspunkt der versehrten Kunstfigur verbunden werden. Ausgewählte Texte von Ernst Toller, Bertolt Brecht, Friedrich Dürrenmatt, Samuel Beckett, Peter Weiss, Thomas Bernhard, Heiner Müller, Dea Loher und Sarah Kane werden analysiert und mit einem Ausblick auf zeitgenössische Performances und Aktionskunst abgerundet. Das ,Theater der Versehrten’ wird hiermit als theoretisch-methodisches Theatermodell für das 20. und frühe 21. Jahrhundert eingeführt.