Eine Nonne schreibt Tagebuch. Mit Sorgfalt verzeichnet sie die Tage, notiert dazu ihre entsprechenden Erfahrungen und berichtet so von ihrem Leben im Kloster. Das zumindest macht eine Gruppe von Texten glauben, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in den süddeutschen Dominikanerinnenklöstern Engelthal und Maria Medingen entstanden ist.
Doch handelt es sich dabei nicht um gewöhnliche Lebensbeschreibungen, in denen dortige Nonnen von ihrem Alltag im Kloster erzählen. Vielmehr listen sie – nahezu akribisch mit Zeitangaben versehen – all ihre Gottesbegegnungen auf, so dass es zu einer außergewöhnlichen Verschränkung von Gottes- und Zeiterfahrung kommt. An der Literarizität der Dominikanerinnenviten besteht mittlerweile kein Zweifel mehr. Die auffällige Bemühung um zeitliche Strukturierung der Gotteserfahrung wie auch der Texte selbst wurde bisher jedoch wenig beachtet. Die vorliegende Studie untersucht eben diesen erzählerischen Umgang mit der Zeit, der die Viten formal wie auch inhaltlich wesentlich bestimmt und es schließlich sogar erlaubt, in ihnen weit mehr als ein beschriebenes Leben, nämlich ein frömmigkeitspraktisches Medium zu erkennen.