Gegenstand dieser Studie sind die Formen und Funktionen von Pluralität in der kulturellen Moderne, verstanden als ein seit Aufklärung und Romantik andauernder Prozess. Die schematische Auffassung dieser Moderne war bestimmt durch den irreversiblen Pfeil der Zeit, ein lineares, teleologisches Modell des Fortschritts.
Im ganzen Zeitraum von der Sattelzeit (1750-1830) bis ins 20. Jahrhundert hat sich dagegen ein Bewusstsein von der Pluralität als Signatur der kulturellen Moderne aus geschichts- und kunsttheoretischen Motiven ebenso wie aus reflektierter ästhetischer Erfahrung herausgebildet. Die produktive künstlerische Freiheit, über Sach- und Forminhalte als Bau-, Spiel- und Denkmaterial verfügen zu können, wird zugleich zum Beweggrund einander widersprechender Urteile über die kulturelle Semantik der Moderne. Der spielerischen, reflektiert freien Selbstbewegung in vergangenen Zeiten und Formen, wie sie Hegel begründet hat, steht eine vitalistische Behauptung der Gegenwart entgegen, die mit Nietzsches Historismuskritik der Moderne als strukturelle Schwäche vorhält, aus sich selber gar nichts zu haben. Beide Pole dieses Spannungfeldes bestimmen mit wirkmächtigen Bilderfindungen noch die Essayistik und den Roman des 20. Jahrhunderts.