Während die produktive Phase des höfischen Romans und des Minnesangs, der beiden Leitgattungen der Literatur des hohen Mittelalters, nach 1300 abbrach, scheint das letzte Drittel des 13. Jahrhunderts in der Gattungsgeschichte der Sangspruchdichtung eine besonders produktive Zeit gewesen zu sein, und dies nicht nur in den alten Kernregionen höfischer Dichtung, sondern auch an den Randzonen des deutschen Sprachgebiets. Man darf sogar vermuten, dass die Jahre um 1300 eine Art Sattelzeit waren, die der Gattung eine lange Wirkung bis weit in die Neuzeit hinein beschied. Konjunktur hatten Strophen, die religiöses und weltliches Wissen, Alltagswissen ebenso wie Wissensbestände der lateinischen Gelehrtenkultur verarbeiteten, aber auch Fürstenlob und solche Strophen, die auffällig intensiv den Geltungsanspruch der Kunst behaupten. Die Beiträger des Sammelbandes – Historiker, Literatur- und Musikwissenschaftler – fragen nach den historischen Voraussetzungen für diesen Erfolg, vor allem aber nach dem spezifischen Profil der Gattung um 1300, nach ihrer Poetik und Poetologie sowie ihren vielfältigen literarischen und musikalischen Interferenzen, die dem Sangspruch eminenten Zuspruch eintrugen.