Die Geschichte des Geheimnisses ist immer auch die Geschichte eines spezifischen Wissens: Die Existenz von Geheimnissen provozierte immer wieder Wissenspraktiken, die das Geheimnis aufzudecken versuchten. Gerade in der sogenannten „Wissensgesellschaft“ der Moderne spielt die Frage des geheimen Wissens und des Wissens über Geheimnisse eine nicht zu unterschätzende Rolle. Welche Geheimnisse konstituierten sich in der Zeit seit dem 18. Jhd.? Welches Wissen ging mit diesen Geheimnissen einher? Welche Form und welche Funktion nahmen Geheimnisse an? Diesen Fragen an die Wissensgeschichte des Geheimnisses widmet sich der vorliegende Sammelband anhand von ausgewählten Beispielen und liefert so einen Beitrag zur historischen Epistemologie des Geheimwissens.
Die Fragen der epistemologischen Verbindung von Geheimnis und Wissen konzentrierten sich entlang vier verschiedener Achsen: die Frage nach gesellschaftlichen und staatlichen Politiken von Geheimnis und Wissen und den mit ihnen zusammenhängenden disziplinierenden Funktionen (I), die Frage nach dem Zusammenhang von Verheimlichung, Geheimnis und Wissen im Kontext von Krieg und staatlicher Regulierung von Information (II), die Frage nach der Verknüpfung von Geheimnis und Wissen hinsichtlich der Produktion eines identitären, gesellschaftlichen oder kolonialen Selbst (III) und die Frage nach der Ästhetik, d. h. hier den Weisen der Wahrnehmung von Geheimnis und Wissen im Rahmen von Literatur, Kunst und Politik (IV)
Die in diesem Band versammelten Beiträge zeigen damit, unter anderem, dass es eine komplexe Verbindung von Wissenspraktiken mit Geheimhaltungspraktiken gibt und gab: Es lässt sich nicht einfach sagen, dass durch eine Praxis der Geheimhaltung nur Wissen vorenthalten wird; diese Praxis selber generiert wiederum Typen von Wissen. Damit verbunden waren und sind normative Forderungen, die sich in die Generierung des Typs „bürgerlicher Öffentlichkeit“, den Jürgen Habermas beschrieben hat, und die mit ihm verbundenen normativen Möglichkeiten einfügen. Innerhalb dieses normativen Rahmens ist es möglich und es wird praktiziert, Wissen über „öffentliche“ Angelegenheiten öffentlich einzufordern und auf dem Recht auf das Geheimnis „privater“ Bereiche zu bestehen [vgl. Habermas 1990 [1962]]. Viele der Beiträge beschreiben das Auftreten von Konflikten zwischen realen Praktiken und diesem normativen Rahmen, einige das Zustandekommen von letzterem.