'Über den weiten Sumpf, dessen gefahrlose Wege die vertrauten Weiden anzeigten und der zwischen der Straße und dem Walde lag, konnte man heute noch wandern […] Aber wie oft noch würde man so sicher über den Sumpf gehen können? Nicht mehr als zwanzigmal! Dann kamen die blauen Irrlichter wieder, die irdischen Gestirne.' Joseph Roth

In den literarischen Werken und Reportagen des in Brody geborenen Schriftstellers Joseph Roth nimmt Galizien als realgeschichtlicher und zugleich imaginärer, erinnerter Raum eine bemerkenswerte Stellung ein. Dabei verdichtet sich die atmosphärische Präsenz dieser verschwundenen Region immer wieder um ein Element der Landschaft, das unter ständig wechselnden Perspektiven erscheint: die weitausgedehnten galizischen Sümpfe. Dieser wiederkehrende Topos bildet nicht nur den Fluchtpunkt von Roths galizischer Geopoetik; er widerspiegelt zudem das ambivalente Verhältnis des Autors zu einer 'Heimat', die ihm zeitlebens so nah wie fern, so fremd wie vertraut blieb.

Silvan Moosmüller lebt in Basel und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der SNF-Förderprofessur für Literatur- und Kulturwissenschaften an der Universität Luzern.