Seit mehreren Jahren beschäftigen sich verschiedene Disziplinen der Gesellschaftswissenschaften mit der Frau, mit ihrer Stellung in der Gesellschaft sowie ihrer Darstellung und Rolle in Kunst und Literatur. Diese soziologische Rolle der Frau ist heutzutage als Genderproblematik bekannt und wird in mehr oder weniger großem Maße in der Psychologie, der Soziologie, der Sprachwissenschaft und in der Literatur- und Kulturwissenschaft reflektiert und diskutiert. Es ist daher kein Zufall, dass die weiblichen Gestalten auch im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses der Märchenforschung stehen.
Anhand der germanistischen Märchenforschung und der methodischen Ansätze der interkulturellen Germanistik befasst sich diese Studie mit den verschiedensten Frauenfiguren mit Fokus auf ihre Rollen und Charaktereigenschaften in den Märchen der beninischen Volksgruppe Mahi als Repräsentanten afrikanischer Oralliteratur südlich der Sahara. Mit aller gebotenen Vorsicht nimmt die Untersuchung Bezug auf die Grimm'schen Kinder- und Hausmärchen, sucht dabei nach eventuellen Vergleichsräumen und fragt nach möglichen Gründen für Parallelen und Unterschiede. Ein untersuchungsfähiger Korpus von fünfzehn gesammelten, transkribierten und übersetzten traditionellen Mahi-Märchen aus Benin bildet den Fundus dieser Studie. Die fünfzehn übersetzten Märchen sind unter dem Gesichtspunkt eines repräsentativen Querschnitts zu den typischen Frauenfiguren aus einem Gesamtkorpus von mehr als zweihundert oral-tradierten Mahi-Märchen ausgewählt, die in den Jahren von 2008 bis 2013 auf mehreren Forschungsreisen in verschiedenen Mahi-Gemeinden gesammelt wurden.