In den Literaturwissenschaften geht man bis heute davon aus, dass die literarische Empfindsamkeit aus der „Emanzipation des Bürgertums im 18. Jahrhundert“ (Sauder) entstanden sei. Dass diese These einer genuin bürgerlichen Gefühlskultur höchst problematisch ist, zeigt die Begriffsgeschichte der Zärtlichkeit, die schon um 1650 mit dem Erzählwerk der Madeleine de Scudéry begann. Denn eben dieses Zärtlichkeitsideal entstand nicht im Bürgertum, sondern innerhalb der noblesse de robe, des französischen Amtsadels zur Zeit des Ancien Régime. Seinen Ursprung hat die zärtliche Empfindsamkeit also in der höfischen Galanterie des 17. Jahrhunderts. Vor diesem Hintergrund fragt die vorliegende Studie erstmals nach dem Verhältnis von Galanterie und Empfindsamkeit, zwei Epochen, die im Begriff der Zärtlichkeit eine bisher vollkommen unerforschte gemeinsame Schnittmenge besitzen. Die Studie entfaltet die Kulturgeschichte dieser Zärtlichkeit anhand des europäischen Theaters des 17. und 18. Jahrhunderts, welches unter dem Eindruck einer „tendresse amoureuse“ (Daumas) signifikante Transformationen sowohl im Bereich der Tragödie (von Racine über Dryden und Voltaire bis hin zu Schlegel und Lessing) als auch der Komödie (von der sentimental comedy über die comédie larmoyante bis hin zum rührenden Lustspiel) durchläuft. So entsteht ein völlig neuer Blick auf die Theatergeschichte der Frühaufklärung.