Was haben der Verfall einer Kultur, eine ausschweifende Lebensweise und eine Lebensauffassung, die Kunst in den Status einer Religion erhebt, gemein? Sie alle wurden und werden im Alltag, in der philosophischen und in der literarischen Tradition mit dem Begriff der Dekadenz bzw. Décadence bezeichnet. In der europäischen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts sind Autoren wie Huysmans, Wilde, Rodenbach oder Heinrich Mann der Frage nachgegangen, inwiefern eine dekadent-ästhetizistische Haltung einen Ausweg aus der geschichtsphilosophischen Décadence bieten kann, wie sie Montesquieu oder Rousseau eindringlich beschrieben haben. Sie entwerfen exaltierte Figuren wie den Herzog des Esseintes oder die Dandys Dorian Gray und Lord Henry Wotton, die an den Moralvorstellungen und der Kultur ihrer Zeit verzweifeln und versuchen, dem scheinbaren Niedergang zu entfliehen. Dabei zeigt sich, dass ein zum Kunstwerk erhobenes Leben eine mögliche, wenn auch moralisch oft nicht wünschenswerte Antwort auf die geschichtsphilosophische Décadence sein kann.