Die Briefsammlung des Avitus von Vienne entstand im 5./6. Jahrhundert n. Chr. Sie enthält knapp 100 Schreiben aus der Korrespondenz des Bischofs mit bedeutenden Zeitgenossen. Diese behandeln (kirchen-)politische Angelegenheiten ebenso wie Alltägliches oder literarische Fragen, dienten Briefe doch nicht nur zum Nachrichtenaustausch, sondern überdies zur Kontaktpflege, zur Gemeinschaftsstiftung und zur Selbstdarstellung. Insbesondere die letzten beiden Funktionen bedingten auch ihre Zusammenstellung zu Sammlungen.
Hier knüpft Johanna Schenk an, indem sie die Inszenierung des Avitus in seinen Briefen analysiert und in diesem Zusammenhang erstmals zwischen der Ebene des Einzelbriefs und der Ebene der Sammlung unterscheidet. Dabei fragt sie einerseits nach den Porträts des Avitus, die er unterschiedlichen Adressaten gegenüber entwarf. Andererseits untersucht sie das Bild, das die Sammlung als Ganzes von ihm zeichnet und das durch spätere Eingriffe Dritter weiter variiert wurde. So bietet Schenk einen exemplarischen Einblick in die vielfältigen Verwendungsweisen spätantiker Epistolographie von der unmittelbaren Zeit ihrer Entstehung bis zu ihrer Tradierung in Sammlungen.