In Mythen haben die ältesten Vorstellungen und frühesten historischen Ereignisse der Menschheit ihre Spuren hinterlassen. Diese Feststellung mag heute wenig Furore machen; noch im 18. Jahrhundert jedoch war das anders: Man erhob antike Mythen teilweise zu verschlüsselten Geheimbotschaften, in denen sich uralte Weisheit verbirgt, teils verteufelte man sie als gottlose Ketzerei, teils sah man in ihnen nichts weiter als schöne Geschichten aus einer anderen Welt. Auf keinen Fall jedoch erachtete man sie als einen Gegenstand, welcher der wissenschaftlichen Betrachtung wert gewesen wäre. Dieser Bewertung des antiken Mythos arbeitete der Göttinger Professor Christian Gottlob Heyne Zeit seines Lebens entgegen. Er betonte immer wieder, dass sich im Mythos die Grundmuster menschlichen Denkens erkennen lassen, und schuf die erste wissenschaftliche Mythentheorie. Lydia Merkel zeigt in dieser Studie, wie es Heyne gelang, die eigentliche Bedeutung des Mythos für die Geisteswissenschaften zu erschließen und damit den entscheidenden Schritt zum modernen Mythosbegriff zu gehen.