Giovanni Bellinis Marienbilder, über 500 Jahre alt, berühren und bewegen noch heute. Denn sie erzeugen in ihren Betrachtern eine Präsenz des eigenen Lebens, die darin gründet, dass die Gegenwart des Göttlichen das ganze menschliche Leben erschließt. Diese These wird in drei Schritten begründet: erstens durch eine philosophische Bestimmung des Begriffs der Präsenz, welche dessen theologische Implikationen sichtbar macht; zweitens durch eine geschichtliche Erörterung des Marienbildes und seines Funktionswandels im venezianischen Humanismus des 15. Jahrhunderts, durch den nun die natura humana im Andachtsbild erfahrbar wird; drittens durch eine ikonographische Betrachtung der Bilder selbst, die deren inneren Zeitrhythmus ausweist und damit die Wahrnehmung steuert. Die innere Bewegung, die diese Bilder auslösen, vermittelt sich noch über die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihnen. Sie sind Ausdruck des Formwandels des Christentums zu Beginn der Neuzeit. Indem sie diesen Verfahren folgt, ist die Studie ein Fallbeispiel für eine ästhetisch-historisch orientierte evangelische Theologie.