„Dieser Brief hat keinen testamentarischen Charakter, wenngleich er 1985 nach dem Tod Scholems in seinem Nachlass gefunden wurde. Dennoch kommt er nun hier an, kehrt uns wieder und spricht zu uns nach dem Tod seines Unterzeichners … Man hat manchmal den Eindruck, ein Wiedergänger kündige uns die erschreckende Rückkehr eines Phantoms an.“In Die Augen der Sprache liest Jacques Derrida einen Brief von Gershom Scholem an Franz Rosenzweig vor dem Hintergrund seines Seminars von 1986/87 „Philosophische Nationalität und Nationalismus. Das Theologisch-Politische (heilige Sprache, säkulare Sprache: die Erwählung, der Bund, das Versprechen)“. Scholem schrieb den Brief 1926 als Zionist aus Palästina an den Antizionisten Rosenzweig. Thema des in deutscher Sprache geschriebenen Briefes ist die Säkularisierung der hebräischen Sprache im Moment ihrer „Aktualisierung“ und Modernisierung zur Alltagssprache in Palästina. Derrida analysiert den apokalyptischen Ton dieses „Bekenntnisses über unsere Sprache“ und die von Scholem befürchtete Drohung einer „rächenden Rückkehr der heiligen Sprache, deren religiöse Gewalt gegen ihre Sprecher ausbrechen wird“, im Licht der These, dass das Problem, das diese Umwandlung der heiligen zur säkularen Sprache aufwirft, durch und durch politisch sei.