Das deutsche Judentum der Weimarer Republik erlebte eine geistesgeschichtliche Verspätung, da es den nationalistisch und neoromantisch motivierten Wandel seiner Zeit größtenteils nicht mitvollzog. Statt an der zeitgenössischen Gesellschaft orientierten sich viele seiner VertreterInnen weiter an der deutschen Aufklärung. Gerade dieser Anspruch – ihre Gesellschaftskritik, verknüpft mit ausgeprägtem Minderheitenselbstbewusstsein – führte sie hinsichtlich ihrer Akkulturationsvorstellungen in eine Pionierrolle. Grundlage der Untersuchung ist eine Analyse der C.V.-Zeitung, Organ des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, die ein breites Spektrum von Meinungen abdruckt und sich als demokratisches Diskussionsforum bzw. als Zeugnis des Ringens um hierarchiefreie Pluralität lesen lässt.

Miriam K. Sarnecki beleuchtet das Verhältnis des Centralvereins, der größten deutsch-jüdischen Gruppe dieser Zeit, zu den anderen Gemeinschaften (Orthodoxie, Ostjudentum, Zionismus, Verband nationaldeutscher Juden) und gibt Einblick in den Wandel des Vereins, dessen Vertreter sich zunehmend säkularisieren und alternative Identitätsgrundlagen diskutieren. Ziel ist eine differenzierte Wahrnehmung des Diskurses um die Behauptung subkultureller Identität. Als Verfechter eines Akkulturationskonzepts, das selbstbewusste, postkoloniale Züge trägt, die ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus sind, kommen kritische Vertreter des Vereins dem Stand der heutigen Akkulturationsforschung bemerkenswert nahe.