Die Suche nach unechten Stellen bei den großen Autoren der griechischen und römischen Antike ist so alt wie die Beschäftigung mit ihnen. Gefragt wurde aber kaum nach dem Profil der Urheber solcher Zudichtungen, die man allein durch ihre sprachlichen und dichterischen Mängel hinlänglich abgrenzen zu können glaubte. Diese Vorgehensweise führte nicht nur zu vielfachen textkritischen Fehlentscheidungen aufgrund vorgefasster ästhetischer Normvorstellungen, sondern verstellte auch den Blick auf das tatsächliche Weiterleben der Texte, wie sich am Beispiel der nach dem Tode ihres Autors immer wieder aufgeführten Tragödien des Euripides und der in frühchristlicher Zeit wiederbelebten sittenkritischen Satiren Juvenals zeigen lässt. Erhellend ist auch der Vergleich mit den unmittelbar an den Überlieferungsträgern ablesbaren Eingriffen in Texten der frühen Neuzeit wie den Sueños von Francisco de Quevedo, die unter dem Druck der kirchlichen Zensur weitgehend der Kontrolle ihres Autors entzogen waren.