Der gegen­wärtige Diskurs in der Kunst ist vor­wiegend ein moralischer. Allerorten identifiziert eine ins Extrem verfeinerte Moral Missstände, deren Abschaffung man sich mit Eifer widmet. Diesem Eifer entspricht eine ausgeprägte Erlösungsrhetorik, als böte gerade die Kunst den Menschen Auswege aus ihrer selbstverschuldeten Schuldhaftigkeit. Was aber ist das Verhältnis von Kunst und Moral? Wann wird es moralisch problematisch, Kunstwerke unter dem Aspekt der Moral zu beurteilen? Bedarf es, statt einer Moral der Kunst, einer Ethik der Ästhetik? Und könnte es sein, dass eine polykontexturelle Gesellschaft nicht mehr, sondern weniger Moral braucht, nicht mehr Leitwerte und normative Anker, nicht mehr Erlösungsrhetorik, sondern eine Bereitschaft zu sich selbst kritisch bemessender Reflexion, um gesellschaftliche Komplexität erfolgreich zu bewältigen?