Sexuell übergriffige Mädchen sind im 21. Jh. sowohl faktisch als auch diskursiv eine hochbrisante Gruppe von Menschen. Erstens ist es ein Fakt, dass sich auch manche Mädchen bereits im Kleinkindalter sexueller Übergriffigkeit bedienen, was aber mit dem Jahrtausende alten Geschlechterstereotyp, dem Diskurs um die weibliche und kindliche Unschuld, kollidiert, bzw. nicht vereinbar ist. Der Mann wird immer noch überwiegend als der sexuell Aktive, die Frau als eher die sexuell Passive, ja sogar der Mann als Täter und die Frau als sein Opfer konnotiert. Die Vorstellung einer aktiven jugendlichen Sexualtäterin bzw. eines aktiven sexuell übergriffigen Mädchens im Kindesalter erschüttert dann die fragile diskursive Weltanschauung sogar von Fachpersonen, geschweige denn von der breiten Öffentlichkeit. Dieser Zustand ist im hochentwickelten und liberalen 21. Jh. ein tragisches Paradoxon, weil die sexuell übergriffigen Mädchen nutzen es aus, da ihren Opfern nicht geglaubt und somit nicht (ausreichend) geholfen wird. Des Weiteren wissen wir, dass sich eine Opfer-TäterIn-Spirale transgenerationell ausbreiten kann. Dank einer langen multidisziplinären Recherche konnte festgestellt werden, dass auch Mädchen als Kinder zu sexuell omnipotenten Wesen werden können – genauso wie Jungen. Der historische Exkurs hat wiederum veranschaulicht, dass und wie manche Frauen und Mädchen sexuell emanzipiert bis sexuell übergriffig waren – genauso wie es viele auch heute sind. Aufgrund der mit qualitativen Inhaltsanalyse ausgewerteten narrativ-fokussierten Interviews scheint die erlebte Missachtung eigener sexueller Integrität ein gemeinsamer, aber nicht einziger gemeinsamer Nenner bei den interviewten Mädchen zu sein. Alle drei von mir interviewten mutigen und offenen Mädchen haben sich gewünscht, dass das Thema bekannter wird. Eine Diskursverschiebung ist dringendst nötig, denn die kaum bekannten Fakten, die Realität sind längst woanders.