Das 6548 Verse umfassende Lehrgedicht "Der Seele Rat", in den Jahren um 1275 in Bozen entstanden, ist lediglich in einer unvollständigen Handschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts überliefert. Die Fragen nach Herkunft, Ordenszugehörigkeit und Biografie des geistlichen Autors, der sich am Schluss des in spätmittelhochdeutscher Sprache abgefassten Gedichts als "prueder Hainreich von Purgews" vorstellt, beschäftigen die Mediävistik seit Generationen. Vor dem Hintergrund der neuesten Forschungen sucht das vorliegende Buch, das großteils die überarbeiteten Vorträge eines Symposiums von 2014 versammelt, diese Fragen einleitend umfassend zu beantworten, wobei ein bisher unbekanntes Ministerialengeschlecht von Burgeis vorgestellt und der Autor als der erste Prior des Bozner Dominikanerklosters identifiziert wird. Die einzelnen Beiträge widmen sich vor allem der Dichtung selbst: "Der Seele Rat" ist eine Art Beicht- und Bußpredigt, die im Hinblick auf Tod und Jenseits das Bußsakrament erläutert, einen detaillierten Katalog der Laster bietet und die sündige Seele zur Umkehr mahnt. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund - Ausbeutung der ländlichen Bevölkerung durch den Adel und rücksichtslose Territorialpolitik Graf Meinhards II. von Tirol - kommt dem Werk durchaus politische Brisanz zu: Offenbar wird hier nicht nur dem „kleinen Mann" ein Spiegel vorgehalten. Interdisziplinär angelegt, nähern sich Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Ländern dem Lehrgedicht durch vergleichende Betrachtungen auf breiter kulturgeographischer Basis und binden es in einen europäischen und außereuropäischen historischen, literarischen, religionshistorischen und theologischen Kontext ein. Mit Beiträgen von Tracy Adams, Klaus Amann, Miguel Ayerbe Linares, Alvise Andreose, Davide Bertagnolli, Jasmin El-Assil, Fulvio Ferrari, Winfried Frey, Michael Gebhardt, Nigel Harris, Manshu Ide, Walter Landi, Hans Moser, Josef Nössing, Helmut Rizzolli, Max Siller, Ursula Stampfer, Armin Torggler, Andreas Vonach, Erdinç Yücel. Herausgegeben wird der Band von Elisabeth De Felip-Jaud und Max Siller.