Das Quintparallelenverbot ist eine Kontrapunktregel, die heute jeder professionell mit Musik Beschäftigte im Studium kennenlernt. Weniger bekannt ist der Sachverhalt, dass die Regel bereits 1330 erstmals im Kontext einer mündlich geprägten Praxis kontrapunktischen Singens formuliert wurde. Ihre historische Entstehung wurde nicht im kulturellen Gedächtnis europäischer Musik verankert.
Der vorliegende Band füllt diese Erinnerungslücke, indem er die annähernd siebenhundertjährige Geschichte des Verbots anhand von sechzehn Quellentexten und ausführlichen musik-, kultur- und medienwissenschaftlich fokussierten Kommentaren präsentiert. Dabei eröffnen sich u.a. überraschende Einblicke in die Hör- und Mediengeschichte der europäischen Musik. Wegen der weitgehenden Unveränderlichkeit der Regel über einen langen Zeitraum lassen sich zeitabhängige Zuschreibungen besonders klar erfassen. An die Stelle einer ausschließlich kausalen Begründungsmustern folgenden musikalischen Fortschrittsgeschichte tritt so eine Geschichte der „Übersetzungen“ oder „Verschiebungen“, die berücksichtigt, dass historischer Wandel durch Informationsverluste und Übersetzungsfehler geprägt ist.
Die Bandbreite der Textsorten reicht von mittelalterlichen Traktaten über einen der ersten Science Fiction-„Romane“ bis zur satirischen Schrift, einer musik- ebenso wie einer naturwissenschaftlichen Studie und einem Künstlertext.

"Ist das Verhältnis von musikalischer Praxis und theoretischem Diskurs einmal in seiner Gebrochenheit durchschaut, ist ein gordischer Knoten durchschlagen: Die Geschichte europäischer Musiktheorie ist, in den Worten Saxers, keine Fortschrittsgeschichte, die kausalen Begründungsmustern oder rein deskriptiv den fortschreitenden Mitteln der Kunst folgt." Felix Diergarten, FAZ, 1. Februar 2023