Die narrative Struktur eines Textes beeinflusst maßgeblich die Art, wie die in ihm erzählte Geschichte von dem Leser wahrgenommen wird. Je nachdem, wie sich die Geschichte und die erzählerische Gestaltung zueinander verhalten, können sich unterschiedliche Eindrücke wie inhaltliche Derbheit oder Erhabenheit entfalten und die Textinterpretation determinieren. Bislang wurden insbesondere die Erzählstrukturen großepischer Werke von der mediolatinistischen Forschung erfasst. Inwiefern Kleinepen einen anderen narrativen Ductus aufweisen und somit die Werkdimension die Faktur der Narration bestimmt, blieb wenig beachtet.
Die vorliegende Arbeit setzt bei dieser offenen Frage an und bietet anhand narratologischer Untersuchungen fünf frühmittelalterlicher Kleinepen – ‚Waltharius‘, ‚Ruodlieb‘, ‚Karlsepos‘, ‚Ecbasis captivi‘ und ‚Vita Mammae‘ – eine textzentrierte Antwort. Mittels umfangreicher Erzähleranalysen dieser verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten narrativer Kompositionen und deren Kontrastierung mit großepischen Erzählweisen skizziert die Arbeit ein Profil kleinformatigen Erzählens, das sich stärker an diskursiven als an inhaltlichen Parametern orientiert.