Das Seebad Prora auf Rügen, die Bienenzucht im Kibbuz, der Sternenhimmel im Februar 1939: dies sind die Koordinaten der »Lyrikhypothesen« von Muriel Pic.

»Nach einem Arbeitstag verlässt man das Archiv mit staubigen Fingerkuppen …« - in diesem Staub findet Muriel Pic die Spuren der Zeit und der gelebten Leben. Der Himmel wird vermessen, das zwanzigste Jahrhundert mit seinen Ideologien, Utopien und Verbrechen durchschritten.
In singendem, oft lakonisch gebrochenem Ton, aber immer unnachgiebig im Willen, den Dokumenten ihre Geheimnisse zu entlocken, wirft die Dichterin ein klares, forschendes Licht auf ihre historischen Gegenstände. Ohne Scheu benennt sie die Schrecken, die Menschen erdenken können. Mit wissenschaftlichem Rüstzeug löst sie die Erfahrung aus den Dokumenten. Mit Klang und Rhythmus gewinnt sie ihnen Poesie ab.

Auf Rügen - aber war ich denn nie dort
wenn nicht während einer verlorenen Jugend?
Bin ich durch die Ruinen spaziert
mit feuchten Haaren, steif und stattlich?
Ich erinnere mich:
Ruinen voll von Ratten
(sie steigen in die Schiffe!)
Da waren Ferien, Küsse
nasse Badesachen
versteckt zwischen den Schuppen der Geschichte.