Wie stand es um die Chancen und Grenzen demokratischer Strukturen in der Zwischenkriegszeit? Mit Hilfe eines grundlegenden theoretischen und empirischen Perspektivwechsels dekonstruiert die Historikerin Sophie Stern gängige Interpretationen zur Entstehungsphase der Weimarer Demokratie: Am Beispiel der Konfliktgeschichte des Ruhrgebiets in den beginnenden 1920er Jahren zeigt sie, wie Menschen zwischen Kommunismus, Faschismus und sozialer Demokratie wechseln und diese Deutungsangebote nach ihren individuellen Bedürfnissen kombinieren konnten – in einer komplexen, zukunftsoffenen Zeit, die immer wieder durch Aufruhr Situationen und Ausnahmezustände aus den Fugen geriet. Dabei werden drei in der Forschung bislang getrennt voneinander behandelte historische Phänomene zusammengeführt: der klassenpolitische Ruhrkampf von 1920, der nationalpolitische Ruhrkampf von 1923 und die Entstehung einer
spezifischen regionalen Identität. Das Bild autonomen individuellen Handelns und einer daraus resultierenden Situativita¨t historischer Ereignisse wird dabei im Hier und Jetzt des Ruhrgebiets in den unruhigen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg besonders sichtbar