"Kunst und Politik haben nichts miteinander zu tun."
(Herwarth Walden)
Herwarth Waldens 'Sturm' stand während der Zeit des Ersten Weltkriegs im Zeichen der Wortkunst, einer neuen poetologischen Programmatik, die auf der formal avancierten Lyrik August Stramms basierte. Aufgrund dieser zuallererst kunst- und dichtungstheoretischen Ausrichtung hat man bisher angenommen, der Krieg habe im 'Sturm' keine Rolle gespielt.
Eine solche Betrachtung greift jedoch zu kurz. Zum einen nämlich zeigen sich in vielen Essays, Kommentaren und Nachrufen des 'Sturm' der Kriegsjahre Kunstprogrammatik und zeitgeschichtlicher Hintergrund komplex verschränkt. Angesichts der Tatsache, daß Walden, unterstützt von seiner schwedischen Frau Nell sowie seiner aus den Niederlanden stammenden Sekretärin Sophie van Leer, während des Weltkrieges für die Auslandspropaganda der deutschen Regierung tätig war, gewinnt dieser Aspekt zusätzlich an Brisanz. Zum anderen aber war der Krieg ab Herbst 1914 Thema der Lyrik des 'Sturm'. Orientiert an Stramms Wortkunst publizierten zahlreiche junge Autoren, unter ihnen Franz Richard Behrens, Otto Nebel, Wilhelm Runge und Kurt Heynicke, Kriegsdichtung in Waldens Zeitschrift und versuchten, die Erfahrung des modernen Krieges literarisch zu verarbeiten.
Unter Einbezug zahlreicher bislang unausgewerteter Archivbestände bietet die vorliegende Studie eine literarhistorische Würdigung der bisher lediglich als 'Stramm-Epigonen' präsenten unbekannteren 'Sturm'-Lyriker. Darüber hinaus aber versteht sie sich als Aufarbeitung der von Widersprüchen durchsetzten Repräsentation des Krieges im Künstlerkreis um Herwarth Walden, scheint doch gerade innerhalb eines interpretatorischen Koordinatensystems, wie es der 'Sturm' der Kriegsjahre mit seinem komplexen historisch-politischen, publizistischen und poetologischen Kontext bietet, eine Annäherung an die Frage nach dem Verhältnis von Ethik und Ästhetik in der Darstellung des modernen Krieges fruchtbar und aussichtsreich.