Wo niemand Mittelalter vermutet, regeln Denk-, Wahrnehmungs- und Erzählschemata mittelalterlicher Provenienz wesentliche Momente der Filmästhetik bis ins zeitgenössische Blockbusterkino:
· die Rücksicht auf Wahrnehmbarkeit des bewegten Bildes;
· die Ökonomie konkurrierender Bildontologien;
· die imaginäre Überschreitung der sichtbaren Welt;
· den fortwährenden Wahrheitsanspruch aus der apokryphen Umschrift religiöser Muster.
Ihre filmische Aktualisierung wirft zugleich ein Licht auf unbemerkte Implikationen der vormodernen Artefakte. Der Film erscheint so als Medium, das ihren Wahrheitsgehalt ins „Jetzt der Erkennbarkeit“ (Benjamin) zu heben und an veränderte Fragen und historische Umstände des Verstehens anzupassen vermag.
Das vorliegende Dossier entwickelt jene medienästhetische These an vier, z. T. miteinander verflochtenen Beispielen:
· an der Anderweltkommunikation zwischen Lebenden und Toten (matière de Bretagne);
· an der Kreuzholzlegende (Legend of The Holy Rood);
· am Marienmirakel De Beatrice custode;
· am Schatzfinder-Motiv (AaTh / ATU 763, The Treasure Finders Who Murder One Another).
In ihren literarischen und filmischen Bearbeitungen verknüpfen jene alten Muster Caesarius von Heisterbach, Wirnt von Grafenberg, Geoffrey Chaucer, Hans Sachs, William Shakespeare, William Blake, B. Traven, Jack Trevor Story, Vladimir Nabokov und Philip K. Dick mit Karl Vollmoeller, Fritz Lang und Thea von Harbou, Alfred Hitchcock, John Huston, Ridley Scott, Quentin Tarantino, Ethan & Joel Coen, Manoi Night Shyamalan und Denis Villeneuve zu einem ungeahnten Netzwerk apokrypher Konfessionen zwischen Phantasma und Cinema.