Der vorliegende Band enthält Vorträge, die auf dem Raumfahrthistorischen Kolloquium (RHK) 2023 am 18.11.2023 im historischen Einstein-Saal der Archenhold-Sternwarte in Berlin-Treptow vor einem breiten Publikum gehalten wurden. Die jährlich im November stattfindenden Raumfahrthistorischen Kolloquien werden gemeinsam von der Stiftung Planetarium Berlin, dem Hausherrn der Archenhold-Sternwarte, der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt Lilienthal-Oberth e. V. und der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. organisiert. Für das RHK 2023 war – wie auch das vorangegangene RHK 2022 – keine bestimmte Thematik vorgeschrieben. Zwei Beiträge, und zwar die von Thomas Breit und Reinhard Sagner, widmen sich Weltraumpionieren, zwei Beiträge, die von Yelena Stein und Christian Gritzner einerseits und von Dieter Oertel et al. andererseits, letzterer wegen seines Umfangs in drei Teile gesplittet, abbildenden Weltraumsensoren. Schließlich diskutiert Wolfgang Both die Rezeption von Oberths 1923 erschienenem bahnbrechenden Buch „Die Raketen zu den Planetenräumen“. „Die Raketen zu den Planetenräumen“ erschien im Münchener Wissenschaftsverlag R. Oldenbourgh im Jahre 1923. Eine Neuauflage dieses Buches erschien mit einem Vorwort von Wernher von Braun im Jahre 1960. Aus heutiger Sicht ist schon erstaunlich, dass damals mehrere Verlage dieses Manuskript ablehnten. Ausgehend von den Anregungen, die Oberth als Jugendlicher durch die Lektüre von Jules Vernes Roman „Von der Erde zum Mond“ erhielt, werden wesentliche Beiträge zur Entwicklung der Raumfahrt vor dem Erscheinen des Buches, wie die erste Ableitung der Raketengleichung 1810 von dem britischen Mathematiker William Moore in „A Journal of Natural Philosophy, Chemistry and the Arts“, als auch die Wirkung des Werkes auf seine Zeitgenossen diskutiert. Während die Rezeption des Buches von Oberth in Europa und Amerika mit wenigen Ausnahmen – die Lektüre des Buches beflügelte den Gymnasiasten Wernher von Braun zu größerem Lerneifer – gering war, wurde das Werk in der jungen Sowjetunion begeistert kommentiert, auch wenn Ziolkowski anfänglich noch skeptisch war.
Es ist das Verdienst von Thomas Breit, mit seinem Beitrag „Moritz Pöhlmann (1881–1964): Ein Erfinder und seine Rolle bei der Entwicklung der A-4 (V-2) Rakete des Deutschen Heereswaffenamtes“ durch seine akribischen nachvollziehbaren archivalischen Studien diesen weniger bekannten Raumfahrtingenieur ausführlich zu würdigen. Pöhlmann war ein fähiger Entwickler, der neben seinen Leistungen für die Raketentechnik in Kummersdorf und Peenemünde – seine Film- bzw. Schleierkühlung verhinderte das Durchbrennen der Raketenöfen und führte zu den „Pöhlmann-Öfen“, weitere Entwicklungen betrafen Pumpen und Dampferzeuger, die wegweisend für spätere Entwicklungen waren – auch beachtliche patentwürdige Beiträge zu Kältemaschinen und Strahlantrieben für Schiffe aufweisen kann. Sein komplizierter, zu Teamarbeit eher ungeeigneter Charakter, der über sein ganzes Leben von Breit verfolgt wird, verhinderte eine größere Wirksamkeit und Anerkennung.
Im Beitrag „Über die Forschungsergebnisse von Johannes Winkler in der Luftfahrtforschungsanstalt Braunschweig von 1939 bis 1947“ berichtet Reinhard Sagner über seine neuesten Erkenntnisse zu Johannes Winkler (1897–1947), einem der frühen Raketenpioniere und ersten Herausgeber der Zeitschrift „Die Rakete“. Die Arbeit schließt an Sagners Beitrag „Die Raketenforschung der Junkers-Werke (JFM AG) Dessau 1928–1938“ an, die in den Abhandlungen der Leibniz-Sozietät, Band 74, S. 49–72 veröffentlicht wurde. In Braunschweig arbeitete Winkler zunächst als freier Mitarbeiter, später als Abteilungsleiter, im Institut für Gasdynamik weiter an effektiven Triebwerken und deren Bündelung, an Raketenkennziffern und der Berechnung der Dissoziation von Feuergasen. Diese Arbeiten wurden von ihm nach dem Krieg in zwei Berichten an die britischen Behörden festgehalten.
Teleskope im Weltraum außerhalb des störenden Einflusses der Erdatmosphäre können das gesamte elektromagnetische Spektrum zu Beobachtungen und Messungen nutzen, wie von Yelena Stein und Christian Gritzner in ihrem Beitrag „Die Geschichte der Weltraumteleskope“ diskutiert. Als erste Weltraumteleskope können die Geräte zur Messung von Gammastrahlung und Partikeln mit den sowjetischen Proton-1 und -2-Satelliten im Oktober 1965 angesehen werden. Die ersten UV-Teleskope befanden sich auf den Orbiting Astronomical Observatories (OAO) der NASA, wo vom OAO-2 Ende 1968 die ersten UV-Aufnahmen des Weltalls gemacht wurden. Der sichtbare Spektralbereich wurde erst nach den Starts von Uhuru (Explorer 42 oder auch SAS (Small Astronomical Satellite) bezeichnet) für Röntgenstrahlung im Dezember 1970 und des Infrared Astronomical Satellite (IRAS) für das mittlere und ferne Infrarot im Januar 1983 durch den Satelliten Hipparcos der ESA im August 1989 realisiert. Es folgten auch 1989 der Cosmic Background Explorer (COBE) zur Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung und 1997 der japanische Radiowellensatellit HALCA (Highly Advanced Laboratory for Communications and Astronomy). Der 2015 gestartete Satellit LISA Pathfinder der ESA galt der Technologieerprobung zur Messung von Gravitationswellen, für die 2037 die Mission LISA vorgesehen ist. Der Beitrag der ESA an Weltraummissionen ist beachtenswert, aber auch Deutschland trägt signifikant dazu bei und hatte beispielsweise das Röntgensatelliten ROSAT führend entwickelt.
In diesen Band wurde auch der Beitrag von Dieter Oertel und weiteren 14 Autoren „Abbildende Weltraumsensoren aus Berlin-Adlershof. Gestern – Heute – Morgen“ aufgenommen, der in sehr verkürzter Form als Vortrag auf dem RHK 2024 gehalten wurde. Der Beitrag trägt den Untertitel „Ein beachtliches Erbe des Instituts für Kosmosforschung der AdW der DDR“. Die Leistungen dieses Instituts, das seine Ergebnisse nur verstreut in Zeitschriften veröffentlichte, sind weitgehend unbekannt. Es wurde „teilweise Opfer seiner eigenen Unsichtbarkeit“ (Harvey 2021: 12). Oertels et al. Aufsatz will diese „Unsichtbarkeit“ aufheben. Wegen seines beträchtlichen Umfangs und der Fülle auch technischer Informationen erschien es ratsam, diesen Beitrag in drei Teile zu splitten. Der erste Teil beschreibt abbildende Weltraumsensoren mit Zeilendetektoren, der zweite Teil solche mit Matrixdetektoren und der dritte Teil weitere wesentliche Beiträge zu nationalen Erdbeobachtungsmissionen. In diesem Teil sind auch instrumentelle Entwicklungen für irdische Anwendungen enthalten, die aus den Entwicklungen zu den Weltraumgeräten entstanden wie, um nur ein Beispiel zu nennen, das automatisierte Waldbrandfrüherkennungssystem „FireWatch“, das auch erfolgreich international kommerziell vertrieben wird. Insgesamt gibt es bisher nur zwei Missionen mit deutscher Beteiligung und abbildenden Weltraumsensoren ohne Beteiligung des DLR-Standorts Berlin-Adlershof. Bereits Harvey (2021) hatte ohne die hier seit Übernahme des Instituts in das DLR beschriebenen Entwicklungen auf das erhebliche Vermächtnis des Instituts für Kosmosforschung für die Raumfahrtforschung der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen.