Mariam Selge eröffnet eine neue Perspektive auf die Reitkunst des 16. und 17. Jahrhunderts und stellt gewohnte Historiografien infrage. Dazu gehören die Neubewertung von Grisones Gewaltschule und Pluvinels angeblicher Pferdefreundlichkeit sowie der stark vereinfachenden Aufteilung der Reitkunst nach nationalen Schulen, die bisher unreflektiert in gewaltbasiert oder pferdefreundlich eingeteilt wurden. Selge empfiehlt vielmehr, bei der Suche nach einem pferdefreundlicheren Zugang zur Ausbildung von Reitpferden vom üblichen Kanon der Reitlehren abzuweichen und sich auch mit den Ansätzen weniger bekannter Reitmeister wie Hörwart und Lieb auseinanderzusetzen.
Ein wesentliches Vorgehen der Untersuchung besteht in der Verbindung der Geschichtsschreibung mit dem agentiellen Realismus als theoretische und dem diffraktiven Lesen als methodische Grundlage. Dabei wird die Beziehung zwischen Reiter, Pferd und Kandare als eine »Intra-Aktion« verstanden, in der sich die drei Akteure in ihrem Zusammenspiel zu einer funktionierenden Einheit entwickeln.
Der vorliegende Band leistet einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Reitkunst und für die Human-Animal-Studies und ermöglicht sowohl Historiker_innen als auch Reitbegeisterten neue Zugänge zu den frühneuzeitlichen Reitlehren und deren praktischen Anwendungen.