Im deutschen Polen-Narrativ – dem Gegenstand der Anthologie „Der Geist Polonias“ – werden im 18. Jahrhundert auf dem Humus der Aufklärung und unter Bedingungen absolutistischer Herrschaftsformen Vorstellungen gebildet, die, hier und da leicht abgewandelt, bis in die Gegenwart das Bild von den Polen und dem Polen grundlegend geprägt und insbesondere noch im 20. Jahrhundert ihre Blüten getrieben haben. In ihrer negativen Hauptströmung münden diese Vorstellungen in der antipolnischen Propaganda der Nationalsozialisten während des Krieges 1939–1945.
Die gesellschaftlichen, historisch verifizierbaren Erscheinungen zwischen dem 18. Jahrhundert und dem Zweiten Weltkrieg bilden das Thema und den chronologischen Rahmen der Anthologie. Die auf das Jahr 1945 folgende Spezifik, Dynamik und Komplexität der Entwicklung des Polen-Narratives müssten, bei allen zu beobachtenden Rückgriffen auf die überkommenen Elemente des Erscheinungsbildes in den gesellschaftlichen, politischen und intellektuellen Diskursen, der Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein. Das auf den Zweiten Weltkrieg folgende halbe Jahrhundert war die Zeit eines bis dahin in den deutsch-polnischen Beziehungen beispiellosen Dialogs zwischen Deutschen und Polen, der zwar von Höhen und Tiefen gekennzeichnet doch von beiden Seiten beharrlich fortgeführt worden war. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zeichnete sich auch dadurch aus, dass der Dialog in ungeahntem Maße alle Gesellschaftsschichten und nicht nur die Eliten oder gebildete Schichten erreicht hatte.