Ausgehend von einem transgenerischen und transregionalen Ansatz widmet sich die Monographie von Isabel Schröder der afrikanischen Gefängnisliteratur. In der Untersuchung werden die in der Rezeption des Genres oftmals vernachlässigten weiblichen Stimmen sichtbar gemacht und in ihrer Vielfalt aufgezeigt. Die Arbeit bringt erstmals zahlreiche englisch- und französischsprachige Werke aus verschiedenen Regionen Afrikas zusammen und analysiert im Detail sechs zwischen 1970 und 2015 erschienene Texte afrikanischer Autorinnen aus Eritrea, Kamerun, Marokko, Nigeria, Senegal und Simbabwe. Betrachtet werden sowohl persönliche Zeugnisse Gefangener als auch fiktionale Romane, die das Leben im Gefängnis schildern. Dieser Forschungsansatz ist von besonderem Interesse, da beide Textsorten testimoniale Funktionen erfüllen und gleichzeitig Strategien des fiktionalen Erzählens aufweisen. Trotz der sehr unterschiedlichen historisch-politischen sowie kulturellen Kontexte der Gefängnistexte ist ihnen oftmals gemeinsam, dass sie auf inhaltlicher Ebene Kritik an politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen äußern sowie an eine moralische Gemeinschaft appellieren. Diese Kritik ist häufig genderspezifisch, sie kann allerdings nur in Wechselbeziehung mit anderen Differenzkategorien gedacht und verstanden werden, weshalb die Analyse konsequent einem intersektionalen Ansatz folgt. Der Gefängnisraum selbst wird als „Heterotopie“ im Sinne Michel Foucaults verstanden – ein Raum, der es den Gefangenen unter anderem ermöglicht, gesellschaftliche Strukturen anders zu erfassen, zu hinterfragen und teilweise auch zu unterlaufen. So entsteht ein kritischer Blick auf die Undurchdringbarkeit und Abgeschlossenheit des Gefängnisses, der literarische und machtpolitische Grenzen auslotet.
Inhaltsverzeichnis
Danksagung xiii
Abkürzungsverzeichnis xv
1. Einleitung 1
1.1. Ziele, Fragestellungen & Thesen 5
1.2. Überblick zum Forschungsstand 10
1.3. Analysekorpus der Arbeit 16
1.4. Aufbau der Arbeit 21
TEIL I 23
2. Mächtige Mauern, poröse Mauern. Den heterotopen Gefängnisraum erzählen 25
2.1. „De faux pénitenciers“. Ein kurzer Abriss über Geschichte, Funktion & Zustand von Gefängnissen in Afrika 27
2.2. „Des espaces autres“. Merkmale & Funktionen von Heterotopien 33
2.3. „Le pouvoir est partout“. Einblick in Foucaults Machtverständnis 38
3. Intersektionale Forschungsperspektiven & feministische Theorien aus Afrika. Eine Annäherung 41
3.1. „Considering Intersectionality in Africa?“. Ein Forschungsüberblick 43
3.2. „Intersectionality As Buzzword“. Explizite Beiträge 46
3.3. „Local Knowledge Producers“. Implizite Beiträge 49
3.4. „Within the Milestone of African Feminisms“. Beiträge „under other names“ 56
3.5. „Why Don’t Intersectionalists ,Do‘ Narratology?“ Intersektionalitätsforschung in der Literaturwissenschaft 60
4. Testimoniale Formen. Gewalterfahrung im Gefängnisraum bezeugen und erzeugen 67
4.1. „Témoigner de ce dont on ne peut témoigner“. Zum Verhältnis von Zeugnis & Fiktion 69
4.2. „Wer kann bezeugen?“. Von Handlungsmacht & Zeugnislücken 72
4.3. Testis, terstis, superstes. Zur Vielfalt von Zeug*innenschaft 75
4.4. „Der Gestus des Bezeugens“. Zum Verhältnis von Zeug*in & Adressat*in 77
4.4.1. „To Witness the Combination of Evil and Suffering“. Zum Verhältnis von Zeugnis & Zeug*in 82
4.4.2. „Kein Beweismittel, sondern ein Überzeugungsmittel“. Zum Verhältnis von Zeugnis und Wahrheit 84
Teil II 89
5. Testimoniale Verhandlung von Macht, Trauma und Erinnerung im fiktionalen Gefängnisraum 91
5.1. Vom Leben und Sterben im ewigen Gefängnis: Calixthe Beyalas Tu t’appelleras Tanga 91
5.1.1. „Il faut que la Blanche en toi meure“. Die Zeugnisgabe von Tanga an Anna-Claude im Kontext des Gefängnisses 94
5.1.2. „Je laissais mon corps s’éloigner de ma tête“. Der verdinglichte, entfremdete, sprechende Körper 103
5.1.3. „L’illusion, c’est moi. La folie, c’est moi“. Trauma & Wahnsinn 109
5.1.4. „Vous nous avez tuées, madame“. Eine Genealogie der Gewalt 112
5.1.5. „Je déstructure ma mère“. Verhandlungen von Mutterschaft 117
5.1.6. „Un hymne à l’universalité?“ Beyalas feministischer Appell 124
5.2. Von bröckelnden Mauern im irrtümlichen Gefängnis: Petina Gappahs The Book of Memory 126
5.2.1. „He was your sugar daddy“. Lloyds Tod & Memorys Schweigen 128
5.2.2. „I will tell you all about it“. Memorys Zeugnisgabe an Melinda 132
5.2.3. Erinnerungen schreiben & umschreiben 136
5.2.3.1. „Not anything at all. Just everything.“ Literatur & Bildung 137
5.2.3.2. „How do I begin (again)“. Das „Buch der Erinnerung“ schreiben 140
5.2.4. Albinismus im Kontext intersektionaler Machtstrukturen 144
5.2.4.1. „Black but not black, white but not white“. Ausschluss & Entfremdung in Memorys Kindheit 145
5.2.4.2. „So out of the ordinary as to be fantastical“. Subversion von Machtverhältnissen im Gefängnisraum 149
5.2.5. Genealogie der Gewalt 151
5.2.5.1. „It was all my mother’s idea“. Zur Mutter-Tochter-Beziehung 152
5.2.5.2. „A life for a life“. Vererbung von Gewalt 156
5.2.6. Sekundäre Zeug*innenschaft. Solidarität unter Frauen 160
6. Das Gefängniszeugnis als Beitrag zur Geschichtsschreibung und als fiktiver Zukunftsentwurf 167
6.1. Von immerwährender Rebellion vor, während und jenseits der Haft: Saïda Menebhis Poèmes – lettres – écrits de prison 167
6.1.1. Zur Person Saïda Menebhi 171
6.1.2. „Lieux de torture“. Gefängnisbedingungen während der années de plomb 174
6.1.3. „Un triple témoignage“. Die Vielfalt der Zeugnissammlung 177
6.1.3.1. „Il était six heures“. Die traumatische Verhaftung 182
6.1.3.2. „Une nostalgie terrible“. Erinnerungen & Einsamkeit im Gefängnis 185
6.1.3.3. „En pensant à l’avenir“. Liebe & Hoffnung im Gefängnis 189
6.1.3.4. „Cette femme n’est pas seule“. Die Darstellung anderer Gefangener 194
6.1.3.5. „Nous marchions encore et toujours“. Die sozialistisch-feministische Revolution 201
6.2. Von der unablässigen Suche nach Wahrheit vor, während und jenseits der Haft: Chris Anyanwus The Days of Terror 205
6.2.1. Zur Person Chris Anyanwu 209
6.2.2. „I will tell all“. Eine Geschichte der Presse & der Zensur in Nigeria 210
6.2.3. „A human story, fictional in every detail“. Aufbau & Funktionalisierung des Gefängnistextes 215
6.2.3.1. „The ,Denouement‘“. Dramatische Inszenierungen inner- und außerhalb des Gefängnisraums 219
6.2.3.2. „Leave Something for Tomorrow“. Intramediale Appelle 223
6.2.4. Überlebensstrategien im heterotopen Gefängnisraum 224
6.2.4.1. „Stay alive always“. Bücher, Nachrichten & Schreiben im Gefängnis 225
6.2.4.2. „What mattered was God“. Das Gefängnis & die interreligiöse Gemeinschaft 230
6.2.5. Solidarität & sekundäre Zeug*innenschaft 235
6.2.5.1. „I joined my constituency“. Chris & andere (in situ) Gefangene 235
6.2.5.2. „Only one was caged and the other was not“. Chris & das Gefängnispersonal 241
6.2.5.3. „I tell the stories of many others“. Chris & andere (ex situ) Gefangene 243
7. Der Gefängnistext als Zeugnis der nationalen Grenzziehung und der transkulturellen Grenzüberschreitung 245
7.1. Von der Befreiung der Frau und Nation: Abeba Tesfagiorgis’ A Painful Season & A Stubborn Hope 245
7.1.1. Zur Person Abeba Tesfagiorgis 248
7.1.2. „Tegadalit“. Frauen im eritreischen Unabhängigkeitskampf 251
7.1.3. „A painful season“. Gefängnisbedingungen unter dem Derg-Regime 253
7.1.3.1. „The name of the game is deny“. Abebas Gefängniserfahrungen 256
7.1.3.2. „The sorry, unjust lot of most Eritreans“. Sekundäre Zeug*innenschaft & das Gefängnis der Tradition 262
7.1.3.3. „Tradition dictates...“. Abebas Selbstwahrnehmung als Ehefrau inner- & außerhalb des heterotopen Gefängnisraums 268
7.1.3.4. „After all you are the mother of...“. (Selbst-)Definitionen & Metaphern von Abebas Rolle als Mutter 272
7.1.4. „A stubborn hope“. Der Zeugnistext als Politikum 277
7.2. Vom Finden neuer Lebensfreiheit und kulturellen Zwischenräumen: Salla Diengs La dernière lettre 280
7.2.1. „Plus que des amis“. Serge als Adressat des Zeugnisses 281
7.2.2. „Les lettres pleuvaient“. Briefkorrespondenz & Transkulturalität 284
7.2.3. „Je ne vivais plus que pour ...“. Variierende Lebensentwürfe 290
7.2.3.1. „Je ne suis pas une femme, je suis une mère“. Identitäts- und Mutterschaftsverständnis 294
7.2.3.2. „Cet homme voulait me voler“. Alimatou & moralische Zeug*innenschaft 297
7.2.4. „Je ne regrette rien“. Geständnis & Befreiung 300
7.2.4.1. „La carte de l’amnésie“. Eingeschlossene Erinnerungen, gefangene Seelen 303
7.2.4.2. „Rester sur le fil“. Alimatous Tanz zwischen Trauma & Wahnsinn 308
7.2.5. „Cet océan de douleur“. Das Meer als Zwischenraum 312
8. Fazit 317
8.1. Ausblick 325
9. Literaturverzeichnis 327
Primärliteratur 327
Sekundärliteratur 333
10. Anhang 371
Kommentierte Bibliografie des Sekundärkorpus 371